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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Autoren: Jodi Picoult
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ich ihm im Garten geholfen habe, kleine weiße Steine um die Kakteen gehäuft habe, die er gesetzt hatte. Plötzlich höre ich im Geiste die spanischen Namen von einigen Pflanzen und Tieren: el pico, el mapacbe, el cardo, la garra del diablo - Specht, Waschbär, Distel, Teufelskralle.
    »Du warst für mich wie eine Tochter, grilla«, sagt er verlegen.
    Grilla.
    Ich schaue zu, wie er das Zitronenbäumchen pflanzt. Ich bin es müde, nur drum herum zu tanzen. Ich will endlich Limonade machen. > Wie lange dauert es?< frage ich ihn. >Eine Weile<, antwortet er. Ich setze mich davor und schaue das Bäumchen an. >Dann warte ich solange.< Er kommt zu mir und nimmt meine Hand. >Komm, grilla<, sagt er. >Wenn wir hier so lange sitzen wollen, machen wir uns lieber was zu essen.< Er hebt mich mit Schwung auf seine Schultern. Er faßt mich an den Beinen, um mich zu halten. Seine Hände sind Schmetterlinge an den Innenseiten meiner Oberschenkel.
    Mit zitternden Fingern fasse ich nach dem Griff der Autotür. »Delia?« fragt Victor. »Ist alles in Ordnung?«
    »Dieses Wort: grilla«, sage ich mit einer Stimme wie ein schwaches Pfeifen. »Was bedeutet es?«
    »Grilla?« wiederholt Victor. »Grille. Es ist ein ... Kosewort.«
    Ich nehme undeutlich wahr, daß ich nicke.
    Ich bin nicht überrascht, daß Eric noch schläft. Es ist erst neun Uhr. Er liegt auf dem Bett im Trailer, neben sich die leere Flasche. Er ist nackt, nur zum Teil mit einem Laken bedeckt.
    Ich packe es und ziehe es von ihm herunter. Er setzt sich mühsam auf, verzieht das Gesicht, als das Licht in seine blutunterlaufenen Augen fällt. »Menschens-kind«, murmelt er. »Was soll denn das?«
    Einen Moment lang ist es wie vor fünf Jahren, und ich komme wieder einmal in ein Zimmer, in dem Eric nach einer durchsoffenen Nacht seinen Rausch ausschläft. Damals hätte ich eine Kanne Kaffee aufgesetzt und ihn unter die Dusche bugsiert. Vor fünf Jahren hatte ich ein ganzes Sortiment an raschen Ausnüchte-rungstricks. Aber keiner davon hat bei ihm so schnell gewirkt wie die Methode, die ich heute anwende.
    Eric«, verkünde ich, »ich erinnere mich wieder.«

ZEHN
    »Erinnerung ist der einzige Weg nach Hause.«
    TERRY TEMPEST WILLIAMS, zitiert in: Listen to Their Voices, Kapitel 10, von Mickey Pearlman (1993)

ERIC
    Der Umgang mit Erinnerungen hat im Rechtssystem der Vereinigten Staaten eine bewegte Geschichte. Eine Zeitlang hatten wiederentdeckte Erinnerungen regelrecht Hochkonjunktur - Erwachsene rannten zu Therapeuten, die Anhaltspunkte für Traumata entdeckten, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Hunderte von Leuten beschuldigten auf einmal Pädagogen der unterschiedlichsten Couleur des Mißbrauchs oder des Satanismus, und ihre Erinnerungen wurden als Beweise zugelassen und wie Tatsachen behandelt. Doch Mitte der neunziger Jahre wendete sich das Blatt. Richter betrachteten diese Erinnerungen mit Skepsis und ließen sie nur dann zu, wenn sie zusätzlich von unabhängigen Beweisen untermauert wurden.
    Wir sind leider achtundzwanzig Jahre zu spät dran.
    Dennoch, es ist ein neues Beweismittel, und ich werde dafür sorgen, daß es zugelassen wird, und wenn es das letzte ist, was ich tue. Delia hat mir eine Liste der Erinnerungen gegeben, die jetzt, da der Schalter offenbar umgelegt wurde, schnell und unerbittlich zurückkommen: Der Zitronenbaum mit allem, was dazugehört. Ein Paar Boxershorts, die Victor gehörten, mit blauen Fischen darauf. Wie er bei ihr auf der Bettkante saß und ihr Nachthemd hochschob, um ihr den Rücken zu streicheln. Wie er sie bat, ihre Unterhose runterzuziehen und sich anzufassen.
    Ich muß damit so umgehen wie mit jedem anderen Beweis auch. Wenn ich zu sehr darüber nachdenke, könnte ich zum Mörder werden.
    Ich schicke Emma Blumen auf die Entbindungsstation des Krankenhauses. Auf der Karte steht: »Delia erinnert sich wieder an den Mißbrauch. Hiermit teile ich Ihnen mit, daß ich beabsichtige, diese Erinnerungen im Prozeß zur Sprache zu bringen.« Zwei Tage später beantragt sie eine Anhörung, in der die wissenschaftliche Verläßlichkeit des Beweises hinterfragt werden soll.
    Wir sind im Gerichtssaal, doch es ist eine geschlossene Anhörung, nur der Richter und die Anwälte sind anwesend. Keine Medien, keine Geschworenen. Emma trägt ein Umstandskleid, aber es ist zu weit und wirft vorn am Bauch Falten.
    Alison Rebbard, Emmas sachverständige Zeugin, ist Erinnerungsexpertin, die für eine Reihe von Eliteuniversitäten arbeitet. Sie hat ein
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