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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Autoren: Jodi Picoult
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daß auch Fitz und ich zusammen eine nicht unbeträchtliche Kraft darstellten. Und auf der Heimfahrt, als ich daran dachte, was ich zu Eric würde sagen müssen, fiel mir wieder ein, was ich damals in jenem schimmernden Sommer geschrieben hatte, als ich den Rest meines Lebens zu erraten versuchte. Es war mir peinlich gewesen, die Worte zu Papier zu bringen, und ich hatte den Zettel gleich dreimal gefaltet, damit Fitz und Eric es nicht lesen konnten. Ich - ein Wildfang, der sich stundenlang mit Jungen herumtrieb und Freibeuter oder Archäologe spielte, ein Mädchen, das nur ein einziges Mal in Not geraten war und sich dann selbst gerettet hatte - ich hatte nur einen einzigen wilden Wunsch aufgeschrieben: Ich möchte einmal Mutter werden.
    Eric, einer der drei Anwälte in Wexton, betreut Immobilienverkäufe und Testamente und hin und wieder eine Scheidung, aber er hat auch ein wenig Erfahrung in Strafsachen - Alkohol am Steuer und Bagatelldiebstähle. Meistens gewinnt er, was mich nicht wundert. Ich hab mich von seinen Plädoyers auch stets überzeugen lassen. Zum Beispiel als es um unsere bevorstehende Hochzeit ging. Es hätte mir durchaus genügt, einfach nur eine Heiratsurkunde auf dem Standesamt zu unterschreiben. Doch dann schlug Eric eine große Feier vor, und ehe ich wußte, wie mir geschah, stapelten sich die Broschüren von Partysälen, Probebänder von Musikbands und Preislisten von Floristen.
    Ich sitze nach dem Abendessen im Wohnzimmer auf dem Boden, die Beine mit Stoffmustern bedeckt. »Ist doch egal, ob die Servietten blau oder türkis sind!« beschwere ich mich. »Ist Türkis nicht sowieso bloß Blau auf Ecstasy?«
    Ich reiche ihm einen Stapel Fotoalben. Wir sollen zehn Fotos von Eric und zehn von mir auswählen, für die Vorspannmontage des Hochzeitsvideos. Er klappt das erste auf, und da ist ein Foto von Eric und Fitz und mir, auf dem wir in unseren Schneeanzügen wie fette Würste aus dem Eingang eines selbstgebauten Iglus lugen. Ich bin zwischen den beiden Jungen, wie fast auf allen Fotos.
    »Sieh dir bloß meine Haare an«, sagt Eric lachend. »Ich seh ja aus wie ein Mädchen.«
    »Nein, ich seh aus wie ein Mädchen. Und du siehst aus wie ein Pilz.«
    Auf den Fotos in den nächsten beiden Alben, die ich durchblättere, bin ich älter. Es sind vor allem Fotos von Eric und mir, Fitz taucht nur ab und zu auf. Fotos vom Abschlußball auf der High-School: Eric und ich, und dann eins von Fitz mit einem Mädchen, an dessen Namen ich mich nicht erinnere.
    Als wir fünfzehn waren, erzählten wir unseren Eltern, wir würden einen Schulausflug mit Übernachtung machen und stiegen statt dessen auf den Glockenturm der Baker Library vom Dartmouth College, um uns einen Meteoritenschauer anzusehen. Wir tranken Pfirsichschnaps, den Eric zu Hause stibitzt hatte, und sahen zu, wie die Sterne mit dem Mond Fangen spielten. Fitz schlief mit der Flasche in der Hand ein, und Eric und ich warteten auf den Kometenschwarm. Hast du den gesehen? fragte Eric. Als ich die Sternschnuppe nicht sehen konnte, nahm er meine Hand und führte meinen Finger den Himmel entlang. Und dann ließ er einfach nicht mehr los.
    Als wir morgens um halb fünf wieder nach unten stiegen, hatte ich meinen ersten Kuß bekommen. Und wir waren kein Trio mehr.
    In dem Augenblick kommt mein Vater ins Zimmer. »Ich geh nach oben und guck Jay Leno«, sagt er. »Schließt ab, ja?«
    Ich blicke hoch. »Wo sind meine Babyfotos?«
    »In den Alben.«
    »Nein ... auf denen hier bin ich schon vier oder fünf.« Ich setze mich auf. »Ich hätte auch gern dein Hochzeitsfoto für das Video.«
    Ich habe das einzige Foto von meiner Mutter, das es in diesem Haus gibt. Sie lächelt darauf, und jedes Mal, wenn ich es anschaue, frage ich mich, wer sie damals glücklich gemacht hat, und wie.
    Mein Vater blickt zu Boden und schüttelt leicht den Kopf. »Tja, ich hab gewußt, daß das irgendwann passiert. Na denn, kommt mit.«
    Eric und ich folgen ihm in sein Zimmer und setzen uns auf das Doppelbett, auf die Seite, auf der er nicht schläft. Mein Vater holt eine Blechdose aus dem Schrank. Er kippt den Inhalt zwischen Eric und mir auf die Bettdecke - Dutzende von Fotos von meiner Mutter, in Röcken und hauchdünnen Blusen, ihr schwarzes Haar fällt ihr über den Rücken wie ein Fluß. Ein Hochzeitsfoto: meine Mutter in einem weißen Glockenkleid; mein Vater, eingezwängt in seinem Smoking, sieht aus, als wolle er jeden Moment das Weite suchen. Fotos von mir, fest eingewickelt,
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