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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn
Autoren: Jack Ketchum
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eine Erinnerung in ihr wachrief.
    Aber dazu kam es leider nicht.
    »Nein«, sagte Marge Bernhardt. »Vielleicht. Oh, Gott, ich weiß es nicht.«
    Sie kannte Duggan kaum. Trotzdem fiel sie ihm jetzt in die Arme, als würde ein plötzlicher Windstoß sie gegen ihn drücken.
    Er hielt sie behutsam fest, bis das Zittern nachließ, obwohl ihr Körper und ihre Hände sich kalt anfühlten. Dann bat er sie, noch einmal hinzusehen.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Die ganze Zeit muss ich daran denken«, sagte sie, »was wäre, wenn er es doch nicht war? Was, wenn der Täter noch frei herumläuft? Mir ist klar, dass Sie – wie sagen Sie dazu? – den Fall abschließen wollen. Aber was ist, wenn er es gar nicht war? Und ich sage, dass er es war?«
    Er konnte sie gut verstehen. Er hatte es hier mit einer mutigen, intelligenten Frau zu tun, die sich ihrer Sache hundertprozentig sicher sein wollte. Ihm ging es ja genauso. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass Arthur Danse sein Doppelleben so erfolgreich und geschickt verborgen hatte, dass seine Frau und selbst seine Eltern nicht geahnt hatten, wozu er fähig war – hundertprozentige Gewissheit hatte er nicht. Vielleicht entwischte ihm Arthur selbst noch im Tod. Damit würde Duggan leben müssen.
    Die Frau hatte Recht. Was, wenn der Täter noch frei herumlief, wenn er weiter mit seinem dunklen Auto die Straßen unsicher machte, ein Seelenverwandter von Arthur Danse, der sozusagen derselben Gattung angehörte und unter dem Wintermond nach neuen Opfern suchte?
    Er zog das Tuch über die Leiche.
    Ja, sie hatte Recht. Auf lange Sicht kam es gar nicht auf Arthur Danse an. Seine Zahl war Legion, selbst in dieser friedlichen, kleinen Stadt, und es würde sich daher niemals auszahlen, Fälle wie diesen abzuschließen – nicht einen einzigen Augenblick lang.
    Er führte sie schweigend hinaus, schloss die Tür hinter sich und lauschte dem trägen Gewicht ihrer Schritte auf dem Betonboden. Er dachte an die zu eisiger Ruhe gebetteten Leichen hinter ihm und fragte sich, wie viele ihnen wohl noch folgen würden.

Epilog, Teil zwei
In Sicherheit
    Die Reporterin studierte das Gesicht, das sie jetzt vor sich sah, und verglich es mit den Fotos, die sie im Zusammenhang mit den Nachrichten über die Verhaftung und den Prozess dieser Frau gesehen hatte. Lydia Danse war nur zwei Jahre älter als sie, sah jedoch zehn Jahre älter aus. Sie hatte zugenommen. Die Reporterin hielt sie immer noch für eine ziemlich attraktive Frau, obwohl ihre Augen mangels Schlaf geschwollen waren und ihr Mund verkniffener als auf den Fotos wirkte.
    Die Reporterin, die selbst keine Kinder hatte, aber mit Andrea Stone von der Kinderschutzbehörde und mit dem Rechtsanwalt der Frau telefoniert hatte und sich ihre Geschichte nun schon seit fast einer Stunde aus erster Hand anhörte, konnte diese Veränderungen sehr gut nachvollziehen.
    Auch nach mehr als einem Jahr fiel es ihr offensichtlich noch schwer, über die Toten und über das, was mit ihrem Sohn passiert war, zu sprechen. Da ihr die Einzelheiten des Falls größtenteils im Vorfeld bekannt gewesen waren, fand die Reporterin, dass sie schon durch ihre Einwilligung zu einem Interview eine Menge Mumm bewiesen hatte. Aber als sie hörte, was Lydia zu sagen hatte, ersetzte sie das Wort Mumm durch Tapferkeit.
    Ihr Artikel würde sich mit der Frage befassen, weshalb Frauen töten. Sie recherchierte jetzt schon seit drei Monaten und hatte in dieser Zeit eine Menge Tapferkeit gesehen. Aber auch Wahnsinn.
    Und sehr viel Verzweiflung.
    »Seine Kugel hat also Ihre Lunge gestreift«, sagte sie jetzt. »Und ist dann am Rücken wieder ausgetreten.«
    »Richtig. Man fand sie später in der Tür hinter mir. Ich hatte Glück, weil die Kugel einen Metallmantel hatte. Daher gab es eine saubere Austrittswunde – es hätte viel schlimmer sein können. Ich war ein paar Wochen im Krankenhaus. Dann wurde ich hierher verlegt.«
    »Ihr Anwalt meinte, die Kaution hätte zweihunderttausend Dollar betragen?«
    Sie nickte.
    »Die Sie aber nicht bezahlt haben.«
    »Da stand ich schon bis über beide Ohren mit den Gerichtskosten in der Kreide.«
    »Vor Gericht haben Sie als Grund, dass Sie zu diesem Haus gefahren sind, Roberts Aussage auf Video genannt. Diese ließ Sie befürchten, dass er in Gefahr war, und Sie hatten Angst, er könnte womöglich erneut missbraucht werden. Sie fuhren da hin, um Ihren Sohn zu beschützen.«
    »Ja.«
    »Der Staatsanwalt dagegen hat auf Mord in einem besonders schweren
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