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Wächter des Mythos (German Edition)

Wächter des Mythos (German Edition)

Titel: Wächter des Mythos (German Edition)
Autoren: Christoph Saurer
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sehr schönen Buchmalereien wird heute in der British Library in London aufbewahrt. Auch der Kodex, für den sich Rom interessierte, war ein ebensolches Exemplar mit zahlreichen Buchmalereien und ausgesprochen prächtigen Verzierungen, die über den gesamten Kodextext verteilt waren.
    Doch diese Illustrationen wiesen bei einer genauen Betrachtung satirische Motive auf. Beispielsweise zeigte eine der Buchmalereien den Papst im priesterlichen Ornat. Bei genauer Betrachtung jedoch sah man anstatt der Füße des Papstes zwei Tatzen unter seinem Gewand hervorschauen. Da die Mönche diese Narretei gelegentlich auch ihren Novizen zu zeigen pflegten, war man im Vatikan in Rom, dem dies endlich zu Ohren gekommen war, misstrauisch geworden. Das war dann auch der Grund, weshalb die Delegation aus Rom unangemeldet erschienen war.
    Mich nahmen sie dabei kaum zur Kenntnis. Sie wollten das Buch mit dem ketzerischen Gedankengut prüfen und die Praktiken des Ordens etwas genauer unter die Lupe nehmen. Dabei schnüffelten sie im gesamten Kloster herum, sorgten für Unruhe und stellten beinahe alles auf den Kopf.«
    Bernard seufzte angespannt und legte den Kopf etwas zur Seite, als sei er ihm zu schwer geworden. Dann hustete er, als habe er sich an seinem Kaffee verschluckt, holte schließlich tief Luft und fuhr mit seiner Erzählung fort.
    »Kurz vor meiner Abreise kam Ismael verstört und sehr besorgt zu mir in die Zelle. Er bat mich um Hilfe, um einen für ihn sehr großen ›Freundschaftsdienst‹, wie er sich ausdrückte. Dabei vertraute er mir einen zum Teil vergoldeten mittelalterlichen Kelch aus Silber an. Auf den ersten Blick schien der Kelch nicht außergewöhnlich oder besonders wertvoll zu sein. Dennoch schätzte ich sein Alter auf etwa 800 Jahre.«
    »Seltsam«, murmelte Gabriel leise.
    »Natürlich war das seltsam. Ismael schien jedoch große Angst zu haben, dass ihm dieser Kelch abhandenkomme. Er war der Meinung, dass er im Augenblick bei mir besser aufgehoben sei. Ich sollte den Kelch auf meine Pilgerreise nach Santiago mitnehmen und dann auf dem Rückweg nach Burgos wieder an ihn zurückgeben. Ich fragte ihn, ob seine Angst mit dieser Delegation aus Rom zu tun habe, worauf er den Kopf senkte und mir nickend zustimmte.«
    Bernard verstummte, und es dauerte eine Weile, bis er wieder aus seiner Geistesabwesenheit zurückgekehrt war.
    »Ich wusste wirklich nicht, was ich von all dem halten sollte, doch seine Augen schienen mich damals anzuflehen, worauf ich also tat, worum er mich bat. Nachdem ich den Kelch in meinem Gepäck verstaut hatte, machte ich mich auf den Weg, wobei ich den Kelch während meiner ganzen Pilgerreise wie meinen Augapfel hütete.«
    »Sie haben den Kelch also während der ganzen Zeit Ihrer Pilgerreise im Rucksack mit sich herumgetragen? Wie lange waren Sie unterwegs?«
    »Ich bin den ganzen Weg nur zu Fuß gegangen, von Burgos bis nach Santiago de Compostela und wieder zurück. Ich war mehr als vierzig Tage auf den Beinen, eine großartige Erfahrung, die mich bei meinen späteren Pilgerreisen immer aufs Neue begeistert hat. Als ich jedoch auf dem Rückweg wieder nach Silos kam, empfing mich im Kloster eine seltsame Trauer.
    Die Mönche, die ich zu sehen bekam, verbargen ihre Gesichter unter ihren dunklen Kapuzen. Als ich nach Ismael fragte, bot mir der Abt schweigend einen Stuhl. Danach verschwand er und kam erst nach einer Weile zurück. Lange stand er vor einem der großen Fenster und sprach kein Wort.
    Als er sich umdrehte, legte er mir einen Artikel aus einer spanischen Tageszeitung auf den Tisch. Fassungslos las ich darin von der grausamen Ermordung Ismaels. Dann merkte ich, dass ich allein im Zimmer war. Als ich darauf verstört durch die Gänge lief, um jemanden zu suchen, den ich dazu befragen konnte, begegnete ich keiner Menschenseele mehr. Ich stieß im Kloster nur noch auf eine Mauer aus tiefem Schweigen.«
    Bernards Stimme brach. Er verstummte ergriffen, in Gedanken hatte er immer noch diesen erschütternden Artikel vor Augen. Gabriel starrte ihn stirnrunzelnd an und übernahm dann das Wort: »Ich denke, der Abt wollte Sie damals aus dieser Geschichte heraushalten. Sicherlich hatte er vermutet, das Sie irgendetwas damit zutun haben. Doch da Sie zum Kloster zurückgekehrt waren und ahnungslos nach meinem Bruder gefragt hatten, kamen Sie als Täter nicht mehr infrage. Somit war für ihn klar, dass es mein Bruder gewesen war, der die Liste, in der sich Ihre Personalien befanden, entfernt
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