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VT10 - Tod im Blut

VT10 - Tod im Blut

Titel: VT10 - Tod im Blut
Autoren: Claudia Kern und Stephanie Seidel
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stören. Unverständliches murmelnd schmiegte es sich an die ältere Schwester, schob einen Arm über deren Brust, lag still und atmete tief aus. Nikali presste die Lippen zusammen.
    Vorsichtig nahm sie die schmale Kinderhand, wand sich unter ihr fort und bettete sie zurück auf das warme Lager. Dann stand sie auf.
    Draußen war es kühl. Nichts regte sich im schlafenden Dorf, alles schwieg. Ein erster Hauch von Dämmerung durchdrang die Schwärze der Nacht, ließ schemenhaft einzelne Dächer gegen den Himmel erkennen. Nikali sah sich fröstelnd um.
    Angenehm fand sie es nicht, zu dieser frühen Stunde im Freien zu sein. Es war die Zeit der Geister und Dämonen; böse Zauber hatten jetzt leichtes Spiel, und man konnte selbst von Hexenwerk, das einem gar nicht galt, getroffen werden. Die Sechzehnjährige warf einen Blick nach Westen, wo Issa Maganga wohnte. Doch es war noch zu finster. Das Haus der Geisterfrau, unheimlich wie die Alte selbst, verbarg sich unter dunklen Schwingen.
    Ein schauriges Geräusch ließ Nikali zusammenfahren.
    Irgendwo in der Ferne lachte eine Hyäne! Das war kein gutes Zeichen! Trotzdem hatte die junge Schwarze keinen Zweifel daran, dass sie das Richtige tat. Ein paar Stunden Fußweg vom Dorf entfernt gab es einen namenlosen Wald, in dem die Geisterfrau oft nach Zutaten für ihre Zauberrituale suchte. Er grenzte an die Felder von Kilmalie. Dort wuchs das Bullenhorn, ein geheimnisvolles, seltenes Kraut, dem magische Kräfte innewohnten.
    Dieses Kraut wollte Nikali suchen. Eigentlich war dafür die Erlaubnis des Vaters nötig, aber Dingiswayo befand sich zum Glück auf der Jagd. Er hätte seiner Tochter nie gestattet, ohne Begleitung durch die Gegend zu streifen, egal wie ehrenhaft ihre Absichten waren. Das wusste auch Marne Glele, die dem Haushalt in seiner Abwesenheit vorstand. Deshalb würde auch sie Nikalis Bitte nicht entsprechen.
    Das Tor in der dornigen Einfriedung des Dorfes war verschlossen. Nikali öffnete es einen Spalt breit, schlüpfte hindurch und band es sorgfältig hinter sich zu. Dann lief sie los, der Morgendämmerung entgegen. Bei Sonnenaufgang würde sie den Wald erreicht haben, also spätestens gegen Mittag wieder zu Hause sein.
    Schwierigkeiten, den Weg zu finden, hatte sie nicht. Nikali war eine Banzulu. Ein Kind ihrer Welt, von ererbten Fähigkeiten geprägt. Es war ihr nicht bewusst, doch sie trug Erinnerungen in sich, die zurückreichten bis zur Entstehung ihres Clans. Zum Beginn aller Zeiten.
    Wie viel Zauber, welche Faszination und Schönheit hatte dieser geheimnisvolle dunkle Kontinent einst besessen – damals, vor dem Kometeneinschlag. Flamingos im Okawango-Becken, Abendrot über der Namib, die tosenden Katarakte des Zambesi, saftiges Gras, Büsche und Seen, Blüten voller Farbenpracht, wohin das Auge blickte, und in der Luft ein Hauch von Oleander und Rosmarin.
    Jahrhunderte waren seither vergangen. Inzwischen nannte man den Kontinent Afra, und niemand kannte mehr seine Geschichte und Geschichten, wie die um Shaka Zulu, den König der Könige, der in nur zwölf Jahren alle Zulu-Stämme vereint und nie gekannte Macht erlangt hatte. Shaka eroberte ein Gebiet, das größer war als Europa, mit einer Armee, die Speere trug. Doch bis Tansania, an der Grenze zu Kenia, waren die Zulu nie gekommen, wenigstens nicht als Eroberer. Dass sich trotzdem welche in diesem Gebiet ansiedelten, lag an den seinerzeit guten Lebensbedingungen. Doch auch die waren mittlerweile vergangen und vergessen.
    Nur einer war noch da, wie eh und je. Ein Gigant, ein buchstäbliches Urgestein, das den Lauf der Zeit würdevoll ignorierte und selbst dem alles vernichtenden Kometen getrotzt hatte, ihm sogar heiße Verachtung ins Gesicht spie.
    Er war der wahre König Afrikas. Drei Millionen Jahre alt, 5895 Meter hoch, mit schneebedecktem Gipfel: Kilimandscharo, die Verquickung der Vulkane Shira, Kibo und Mawenzi. Heute nannte man ihn den Gott Kilmaaro.
    Unten an seinen Flanken, nur ein kleines Stück über dem Flachland, lag das Dorf der Banzulu.
    Nikali hatte es längst aus den Augen verloren. Als sie den Wald erreichte, dämmerte der Morgen. Schillernde Schmetterlinge, groß wie zwei Hände, umgaukelten knospende Blüten, Antilopen erhoben sich von ihren Ruheplätzen im Unterholz und trotteten davon.
    Hoch in den Bäumen erwachten die Lemuurs. Sie folgten Nikali ein Stück, um herauszufinden, was dieser Eindringling in ihrem Revier zu suchen hatte. Dabei hangelten sie sich nach Affenart vorwärts.
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