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Voyeur

Titel: Voyeur
Autoren: Simon Beckett
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sehr religiös. Sie haben mich nach einem Heiligen benannt. Der Schuhmacher,
     unglaublich! Der Schutzheilige der Flickschuster.»
    Anna hatte einen Lachkrampf bekommen. «Oh, entschuldige», keuchte sie schließlich. «Sagt wirklich jemand Crispin zu dir?»
    «Nein, Gott sei Dank. Ich versuche, nicht damit hausieren zu gehen.»
    |358| «Keine Angst. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Weiß es Donald?»
    «Wahrscheinlich.»
    «Und was ist mit deinen Eltern? Was sagen die?»
    «Die sagen gar nichts. Sie sind tot.»
    Ich konnte regelrecht spüren, welche Wirkung seine Worte auf Anna hatten. «Tut mir leid. Das wusste ich nicht.» Der amüsierte
     Ton war plötzlich aus ihrer Stimme gewichen.
    «Schon in Ordnung. Kein Grund, sich zu entschuldigen. Es ist schon lange her. Ich war noch ein Kind.»
    Er schien sie absichtlich zu weiteren Fragen zu ermuntern. Ich hatte keine Ahnung, was er sich dabei dachte. «Wie alt warst
     du?», fragte Anna.
    «Dreizehn. Es war ein Autounfall. Ich lebte danach bei einer Tante. Ich glaube, sie mochte keine Kinder. Mich hat sie jedenfalls
     nicht gemocht. Ich bin ausgezogen, sobald ich alt genug war.»
    «Hast du Geschwister?»
    «Nein, es gibt nur mich. Als ich jünger war, hätte ich gern welche gehabt. Eine Weile fühlte ich mich ziemlich einsam. Aber
     ich nehme an, ich muss dir kaum sagen, wie das ist, oder?»
    Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Ich fragte mich, ob er das tat, um mir eins auszuwischen.
    «Nein», sagte Anna. Ihre Stimme klang jetzt sehr tief.
    «Ist es noch so schlimm?»
    Sie lachte kurz auf. «Furchtbar schlimm, um genau zu sein.»
    «Für dich ist es natürlich etwas anderes, denn Marty wird |359| vermisst. Aber ich kann mir trotzdem gut vorstellen, was du durchmachst. Es ist einfach eine Frage der Zeit.»
    «Mm. Ich weiß. Das sagt jeder. Aber   … ach, spielt keine Rolle.»
    «Nein, erzähl. Bitte.»
    Für einen kurzen Moment war es still. «Also, ich   … ich wünschte nur, ich wüsste, was mit ihm geschehen ist, mehr will ich gar nicht!» Ihre Stimme wurde zerbrechlicher.
     «Wenn die Polizei kommen würde und mir sagen, dass er gefunden wurde, tot, könnte ich wesentlich besser damit klarkommen
     als mit dieser Ungewissheit. Ich weiß, manche Leute glauben, er ist einfach mit jemandem davongelaufen, und manchmal ertappe
     ich mich dabei, dass ich denke, vielleicht haben sie ja recht, vielleicht lebt er einfach irgendwo anders. Aber dann wird
     dadurch nur alles schlimmer. Ich
weiß
, dass er tot ist, aber ich weiß nicht, wie er gestorben ist oder warum oder ob er gelitten hat oder   … Ich weiß gar nichts! Und damit kann ich nicht   …» Schließlich versagte ihr die Stimme. «Tut mir leid, tut mir leid.» Ich hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde.
    «Hey, es ist in Ordnung.»
    «Gott!» Sie schniefte laut. «Was bin ich für eine dumme Kuh! Entschuldige, ich gehe lieber.»
    «Unsinn.»
    «Tolle Abschiedsparty.»
    «Das ist doch egal. Es war sowieso nur eine Ausrede, um dich wiederzusehen.»
    Sie lachte unsicher. «Bestimmt bereust du es schon.»
    «Ich bin froh, dass du hier bist.»
    «Danke.» Ihre Stimme klang sanft, ruhiger. «Alles in Ordnung. Tut mir leid, dass ich so eine Heulsuse bin.»
    |360| «Du bist keine Heulsuse.»
    Eine lange Pause folgte. «Ich muss grässlich aussehen. Ich mache mich lieber etwas frisch.»
    «Du siehst sehr schön aus.»
    Wieder Stille. Sie schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Dann durchbrach Anna sie. «Zeppo, ich   …» Das war alles. Ich starrte auf den Lichtkranz. «Zeppo   …», sagte Anna noch einmal, so leise, dass ich sie kaum hören konnte. Dann kam nichts mehr. Während ich wartete und mich
     fragte, was die beiden taten, hoffte ich, dass Zeppo sich nicht vergessen hatte. Ich dachte gerade daran, hinauszuschleichen,
     um mehr hören zu können, als die Wohnzimmertür aufging.
    Ich wich von dem Spalt zurück, wagte es aber nicht, die Tür zu schließen. Als ich hörte, dass sie durch den Flur und ins
     Nachbarzimmer gingen, hielt ich den Atem an. Mit pochendem Herzen erhob ich mich leise und bahnte mir einen Weg durch die
     Dunkelheit zur angrenzenden Wand. Mit ausgestreckter Hand ertastete ich den Tisch und suchte vorsichtig nach dem Loch im Mauerwerk.
     Nach einem Moment fand ich den schmaleren Schlitz im Putz. Ich beugte mich hinab und setzte ein Auge davor.
    Zuerst konnte ich nichts erkennen. Im Nachbarzimmer war es genauso dunkel wie bei mir. Ich hörte ein Klicken, und dann
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