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Vox

Vox

Titel: Vox
Autoren: Baker
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schon gelesen, es lief einfach nicht. Also machte ich mich daran, die Anzeigen durchzugehen, eigentlich fast zum erstenmal. Und da stand die Überschrift: JEDERZEIT.»
    «MACH’S, DANN KOMMT’S.»
    «Genau. Und ich mag das Geräusch der Pausen bei Ferngesprächen – das Kassettenrauschgeräusch. Aber trotzdem wollte ich mit niemand reden, den ich kannte. Und mehr oder weniger deswegen habe ich angerufen. Jetzt habe ich deine Fragen beantwortet, jetzt erzähl du mir was.»
    «Möchtest du was Wahres hören oder was Erfundenes?»
    «Erst das Wahre, dann das Erfundene», sagte sie.
    «Einmal», sagte er, «habe ich über Kopfhörer Radio gehört, da war ich ungefähr sechzehn, und der Receiver stand in einem kleinen Zimmer, das vom Wohnzimmer abging, auf dem Boden, ich weiß nicht, warum er auf dem Boden stand, wahrscheinlich, weil mein Vater das Wohnzimmer gerade strich – das muß es gewesen sein –, und das Kopfhörerkabel war ziemlich kurz, aber ich wollte unbedingt tanzen lernen. Es war Winter, vielleicht acht Uhr abends, stockdunkel, ich hatte kein Licht an. Und ich versuchte, diese ganzen Schritte zu lernen, war aber an die Anlage gefesselt, so daß ich mich fast völlig zusammenkrümmte, als wäre ich hinter irgendeinem Vieh her, aber ich war richtig in Ekstase – ich tanzte, schwitzte, geriet außer Atem, ruderte mit den Armen, vollführte kleine Sätze… einmal wurde ich dann ein bißchen zu erregt und machte mit dem Kopf einen heftigen Ruck zur Seite, so daß der Kopfhörer abging und meine Brille mitriß – aber kein Problem, ich stilisierte einfach die Bewegungen des Brilleaufhebens und -aufsetzens und wiederholte sie ein paarmal, baute sie ein. Und plötzlich höre ich in so einem entsetzten Ton: ‹Jim, was machst du denn da?› Meine kleine Schwester hatte mein ganzes Geschnaufe und Gekeuche gehört, das da aus dem Dunkel kam, und dachte natürlich, ich würde…»
    «Na klar.»
    «Ich sagte: ‹Ich tanze.› Und sie ging wieder. Ich tanzte noch eine Weile, aber mit etwas weniger Verve. In dem Jahr hörte ich ständig Radio. Anders als du war ich zu der Zeit in niemand verknallt. Ehrlich gesagt war ich wohl eher in den Tuner selbst verknallt. Ich stellte mir immer vor, die Megahertzstriche seien die Skyline einer Stadt bei Nacht. Die UKW-Striche waren die Gebäude und die MW-Striche ihre Reflexion im Wasser…»
    «Ah», sagte sie, «aber du wolltest mir doch was Wahres erzählen, nicht was Erfundenes.»
    «Ja, aber das Wahre geht doch ins Erfundene über, oder? Und der kleine bewegliche Skalenstab auf unserer Anlage war gelb erleuchtet, und ich wußte, wo jeder einzelne Sender war, und ich drehte schwungvoll am Knopf, und dann glitt der gelbe Stab die Radiolandschaft auf und ab wie ein Taxi einen großen Hauptboulevard, und jeder Sender war eine Kreuzung in einem Viertel mit einer anderen ethnischen Zusammensetzung, und wenn das rote Zeichen aufleuchtete und STEREO sagte, dann hielt ich da eine Weile, oder der Taxifahrer fuhr einfach über die rote Ampel, an der ganzen Geschichte vorbei, während sie aufflackerte und hinter mir verschwand. Und manchmal drehte ich den Senderknopf ganz langsam mit dem Daumen, als würde ich ein Lenkrad mit dem Handballen dirigieren, und fuhr und fuhr, in der Stille der verstummten Gegenden, und plötzlich kam ich dann an den Rand eines Senders, und da war so eine knisternde, überdrehte, grelle Fassung eines Songs, die einen Augenblick lang viel besser klang, als der Song, wie ich wußte, in Wirklichkeit war, wie der Moment bei einer Sonnenfinsternis, wenn man die ganze Korona sieht, und dann gleitet man hinab in das fruchtbare Tal des Senders, und es breitet sich unter einem aus, in Stereo, mit einer ganzen Kette verschwommener Mittelgründe.»
    «Das stimmt!»
    «Das stimmt! Das ist aber schlecht, weil es heißt, daß ich mir immer noch was Erfundenes ausdenken muß, hm?»
    «Leider ja.»
    «Aber so funktioniert meine Phantasie nicht», sagte er. «Sie springt nicht einfach auf Knopfdruck an. Wovon soll denn das Erfundene handeln, das ich dir erzähle?»
    «Ich denke, es sollte von… meinen Perlen und meinem Silber handeln, schließlich ist das alles für uns ausgebreitet.»
    «Na gut», sagte er. Es folgte eine lange Pause. «Da war ein Typ, der, ähm, seine Gabel reparieren lassen mußte. Nein, ich kann nicht. Tut mir leid. Erzähl du mir mehr.»
    «Du bist aber dran.»
    «Da brauche ich erst noch mehr Vertraulichkeiten von dir. Es muß ein steter Strom von
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