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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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schien mich anzuschauen. Sein Unterkiefer war heruntergefallen, als stieße er noch den Todesschrei aus. Eine verdorrte Hand lag auf der Tasche. Wie eine Klaue, und ich dachte, die Tasche muß etwas sehr Wertvolles enthalten.
    Im Licht des Feuers im Haus des Clans hatte Großvater den Blick abgewendet; er hatte in die Vergangenheit geschaut - unter diesen Felsüberhang.
    Glimmervogel, kaum zwanzig Winter alt, war drahtig und hochgewachsen. Da er Sohn eines führenden Mannes im Clan war, trug er auf seiner Stirn einen schwarzen Streifen tätowiert, der seine scharf gezeichneten Kiefer und seine geradlinige, breite Nase noch hervorhob. Gewöhnlich zeigten seine dunkelbraunen Augen Entschlossenheit, aber an diesem verwunschenen Ort schimmerte in ihnen nur Furcht.
    Er war leicht bekleidet, trug nur Mokassins und einen Lendenschurz. Ein Anhänger aus Glimmer hing an einer Lederschnur um seinen Hals. In der rechten Hand trug er sein Atlatl. Der Griff war aus einem Hirschgeweih geschnitzt, und ein kleiner schwarzer Stein - in Form einer Krähe - war als Gegengewicht in der Mitte des Schafts befestigt; ein Haken aus Bein bildete den hinteren Verschluß.
    In der anderen Hand trug er vier Kriegsspeere, jeder größer als er selbst und jeder mit einer Spitze aus roh gekerbtem Feuerstein. Die Schäfte bestanden aus Pfeilholz und trugen Truthahnfedern, um ihren Flug zu stabilisieren. Das Schaftende war ausgehöhlt, damit es in den beinernen Haken des Atlatl paßte.
    Das Atlatl wirkte als Verlängerung des Arms. Mit ihm konnte Glimmervogel einen Bären mit einem Speer durchbohren, was er auch schon bewiesen hatte.
    Aber mit einem Bären könnte man leichter fertig werden als mit diesem unheimlichen, fremdartigen Wald. Er spürte etwas in dieser Wildnis lauern, das ihm viel unheilvoller erschien als ein Bär.
    Die Nackenhaare sträubten sich ihm, denn er fühlte sich von unsichtbaren Augen beobachtet.
    Gespenster? War das der Grund, warum die Langschädel diesen Ort so fürchteten? Heiße Winde strichen ihm über den nackten Oberkörper; er fuhr herum, hielt Ausschau. Das Unheimliche schien in der feuchten Hitze zu vibrieren, zu beobachten, abzuwägen.
    Ein Mann mußte wissen, wie man die Zeichen im Wald deutet. Ein eigenartiger Knick, eine seltsame Farbtönung, eine Unterbrechung im ungleichmäßigen Gitterwerk von Schößlingen und Baumstümpfen das waren möglicherweise die einzigen Hinweise, an denen sich ein Jäger orientieren konnte.
    Er schaute sich Strünke, Blumen, das Laub und die Ranken genau an. Aber in diesem dichten Geflecht verkrümmter Bäume fand er nichts, das dort nicht hinzugehören schien. Glimmervogel schluckte, seine Zunge war dick geschwollen, und er war durstig.
    Er schlich um eine Birke herum. Vorsichtig ging er weiter und betrachtete den steilen Hang über sich.
    Der alte Mann hatte hierher kommen müssen. Die alten Geschichten drängten sich in seiner Erinnerung, und er hörte die altersheisere Stimme seines Großvaters:
    Und so trat ich näher, ging weiter unter den überhängenden Felsen, und ich konnte das Singen hören. Das schwöre ich. Es war die Stimme einer alten Frau, die sang:
    »Und wie ist es bei Euch?
    Kommt, meine Brüder!
    Aus der Sonne geboren. Einer erschlagen.
    Hier neben dem langen Pfad liegt der Tote.
    Blut fließt. Blut aus dem Kopf.
    Der Schwarze geht weg… ja, er ist tot.
    Er, der liebte, ist für immer verloren,
    er, der sang des reinen Herzens Lied.
    Weine, Weib, denn du weißt nichts.
    Verlier, oder lebe in ewiger Kälte!«
    Glimmervogel schüttelte seine Furcht ab. Ja, das waren die Worte, so hatte er sie gehört, damals, in jener Nacht.
    Ich fürchtete mich, hatte der alte Mann gesagt. Ich zitterte, konnte nicht aufhören zu zittern. Als ob der Geist der Macht Besitz von mir ergriffen hätte. Aber ich mußte dem toten Mann die Tasche wegnehmen. Ich machte sie auf und schaute hinein. Und da war sie: die Maske.
    Glimmervogel überkam Gier, als er an die Maske dachte und daran, was sie ihm bedeuten würde. Die Maske von Bunte Krähe besaß eine Schönheit, die Ehrfurcht einflößte. Er hatte sie nur viermal gesehen, zum letzten Mal in jener Nacht. Großvater hatte die abgenutzte Tasche andächtig geöffnet, um ihm die Krähenmaske zu zeigen.
    Im Licht des Feuers hatte sie geschimmert. Von einem Meister war der hölzerne Schnabel geschnitzt und schwarz eingefärbt worden. Glänzende Federn bedeckten den ovalen Kopf. Es war seltsam, daß die riesige Maske in der Tasche Platz
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