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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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nützen können oder nicht. Du wirst verlieren, was menschlich an dir ist.«
    »Ich glaube dir nicht.«
    »Ich wußte, daß du mir nicht glauben wirst. Aber ich habe dich durch Augen gesehen, die anders waren als andere Augen. Und schon als du noch ein Kind warst, habe ich das alles kommen sehen.«
    »Warum hast du mir dann überhaupt die Maske gezeigt?«
    »Weil sie mich dazu gezwungen hat.« Er hustete und wischte sich mit dem schmutzigen Ärmel über den Mund. »Damals, in der Nacht im Haus des Clans, konnte ich mich selbst nicht zum Schweigen bringen. Nicht ich habe dir die Maske gezeigt, es war Rabenjäger. Er hat mich beherrscht - vom ersten Mal an, als ich durch diese schreckliche Maske geschaut habe.«
    »Rabenjäger?«
    »Bunte Krähe, Vogelmann - wie immer du ihn nennen willst. Der dunkle Zwilling, mein Junge. Der blutige Bruder von Erster Mann. Alles hat ein Gegenstück, denn sonst gibt es kein Gleichgewicht, keine Harmonie. Der Geheimnisvolle hat die Welt so erschaffen.«
    »Wenn dich Bunte Krähe beherrscht, warum läßt er dich das jetzt sagen?«
    »Weil ich nun sterbe. Jetzt hat er mich losgelassen, hat meine Seele freigegeben. Jetzt kann ich sehen, welch schreckliche Dinge ich getan habe. Erst jetzt, wo ich sterbe, sehe ich meine Fehler.« Großvater seufzte hilflos. »Aber was ich auch sage, es wird dich nicht berühren, nichts ändern. Deswegen läßt mich die Maske auch so freimütig sprechen. Sie weiß, daß du dich schon entschieden hast. Du hörst nicht auf meine Worte.«
    Glimmervogel blickte wieder auf den verdorrten Leichnam und unterdrückte sein Schaudern. »Du willst doch nur die Maske behalten, das ist alles.«
    Großvater schaute auf und sagte voller Mitleid: »Die Maske hat dich schon vereinnahmt, sie hat dich schon eingeplant, mein Junge, wie jemand, der ein Erdwerk baut. Sie weiß, was sie durch dich gewinnt.«
    »Großvater«, sagte Glimmervogel, plötzlich unsicher geworden, »warum haben die Langschädel die Maske nie zurückverlangt?«
    Der alte Mann zuckte die Achseln. »Warum hätten sie das tun sollen? Sie kennen den Fluch der Maske. Wenn ein Mann eine Klapperschlange in einem Topf hält, soll er den Dieb warnen? Oder soll er einfach der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen?«
    Doch Glimmervogel sagte nur mit fester Stimme: »Ich nehme die Maske mit.«
    »Damit du deine Monumente bauen, ein großer Führer sein kannst?«
    »So wird es geschehen.«
    Ein bitteres Lächeln umspielte die Lippen des Alten. »Hör mich an, mein Junge. Wenn du die Maske nimmst, wird sie dich vernichten. Was immer du baust, es wird so vergänglich sein wie das Zwitschern der Schwalbe im Wind. Die Menschen, die du lieben möchtest, werden voller Entsetzen vor dir fliehen. Was die Maske dir gibt, nimmt sie dir dreifach weg.«
    Glimmervogel befeuchtete seine trockenen Lippen. Warum mußte dieser Leichnam ihn so anstarren?
    Wie er die braunen Zahnstümpfe in den Trümmern seines Schädels entblößte, schien er Glimmervogel zu verhöhnen.
    Der junge Mann wendete sich plötzlich dem Großvater zu. »Du… du sagst das bloß, damit ich die Maske nicht nehme, damit ich nicht mächtiger werde als du!«
    »Glaub, was du willst. Aber geh! Und versprich mir, niemals wiederzukommen!«
    Die Leidenschaft, mit der der Alte das sagte, überzeugte ihn beinahe. »Stirb in Frieden, Großvater.
    Stirb mit dem Wissen, daß ich unser Volk zu einer Größe führen werde, die du dir nicht vorstellen kannst.«
    »Nein! Geh weg von hier! Lauf, lauf, so schnell du kannst!«
    »Du hältst mich nicht auf!« Glimmervogel kam näher.
    Glanzlose Augen sahen ihn an. Die Brust des alten Mann hob und senkte sich; durch das dünne Gewebe des Hemdes sah er die Knochen. »Du mußt mir einfach glauben. Du bist nicht so stark wie ich einst war. Bunte Krähe weiß das. Laß die Maske hier, Glimmervogel. Laß sie hier bei meinem Geist, oder sie wird dich vernichten. Du bist schwach… zu schwach. Schon als du geboren wurdest, habe ich das gesehen.«
    Glimmervogel warf den Kopf in den Nacken. »Wenn ich so schwach wäre, warum hätte mich die Maske dann ausgewählt, wie du gesagt hast?«
    »Sie braucht dich nur kurze Zeit, mein Junge. Du sollst sie zum Volk zurückbringen.« Die Augen des alten Mannes weiteten sich, als hätte er plötzlich die Wahrheit erkannt. »So ist es. Ein starker Mann wird kommen, voller Ehrgeiz. Dann wird die Maske dich zerbrechen. Wird dich wegwerfen, wie ein Mann ein stumpfes Feuersteinmesser wegwirft.«
    Glimmervogel
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