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Vorstadtprinzessin

Vorstadtprinzessin

Titel: Vorstadtprinzessin
Autoren: Carmen Korn
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Doch ihn wunderte die Frage.
    Er war immer davon ausgegangen, dass Ma die Fernsehflucht guthieß, die sie da allabendlich betrieben. Seit Jahren kannte er es nicht anders.
    Jäh hatte sie diesen Anfang eines Gespräches beendet und war hinaufgegangen zum Fernsehzimmer.
    Doch als er an diesem frühen Nachmittag aus der Schule kam und sich an den Küchentisch setzte, um die Nudeln mit Hacksauce zu essen, kam er noch mal darauf zurück. »Was war gestern in der Kirche, Ma?«
    »Was soll da gewesen sein?«
    »Du hattest geweint. Deine Augen waren rot.«
    »Ach was. Ich war müde. Die Proben haben sich hingezogen, wegen des Konzertes am Sonnabend. Und die anderen hatten vorher noch reden wollen über das Mädchen im Wald.«
    »Du hast nicht drüber reden wollen?«
    »Nein. Wem nutzt das?« Seine Mutter sah aus dem Fenster, das wie seines zur Straße hinausblicken ließ.
    »Um wie viel Uhr ist euer Konzert?«, fragte Theo.
    »Du brauchst nicht zu kommen. Wird sowieso kaum voll werden bei dem guten Wetter. Da setzen sie sich doch alle in die Gärten.«
    »Dann ist es gut, wenn wenigstens ich in der Kirche sitze«, sagte Theo.
    »Siebzehn Uhr fängt es an. ›Du meine Seele, singe‹ heißt das Konzert.«
    »Aha«, sagte Theo.
    »Ich gehe heute Abend wieder zur Probe. Das hat alles einen viel perfekteren Anspruch als früher.«
    Theo zögerte zu fragen, wer diesen Anspruch erhob. Er nahm an, dass es mit den verweinten Augen zusammenhing. Seine Mutter war leicht zu kränken, wenn Kritik an ihr geübt wurde. Er hatte keine Ahnung, wer im Kirchenchor das Sagen hatte. Er hielt sich der Kirche fern, seit er vor drei Jahren konfirmiert worden war.
    »Hast du gehört, dass Henze wieder da ist?«, fragte er.
    »Darüber wurde gestern auch gesprochen«, sagte seine Mutter. »Wäre doch besser er gewesen, der tot im Wald gelegen hätte.«
    Theo sah seine Mutter an. Genau das war ihm auch durch den Kopf gegangen. Dennoch hatte er nicht erwartet, dass sie es aussprach.
    »Theo?« Seine Mutter griff nach einem Küchentuch und drehte es in den Händen. »Im Traum sehe ich dich tot liegen«, sagte sie. »Irgendwo. Tot.« Sie lächelte verlegen. »Pass auf dich auf«, sagte sie.

    Lucky war frühzeitig zu Hause gewesen. Ein kleiner Ausgleich für die Überstunde gestern. Weder Max noch Mia waren da. Auch Mama nicht. Sie arbeitete bei Karstadt in der Mönckebergstraße und hatte heute die späte Schicht. Da kam sie nicht vor zweiundzwanzig Uhr zurück. War eine ziemlich lange Fahrt in die Innenstadt und zurück.
    Dafür leben wir im Grünen, sagte seine Mutter gern.
    Grüner als mit diesem Wald um die Ecke ging es wirklich kaum.
    Lucky hatte gerade das verschwitzte Shirt abgestreift und stand mit nacktem Oberkörper vor dem Kühlschrank, um ein Bier herauszuholen, als es an der Tür klingelte.
    Lüttich sah den jungen Mann mit dem gut trainierten gebräunten Körper in der Tür stehen und schwitzte noch mehr in seinem Tweedjackett. »Max Oldelev?«, fragte er.
    »Das ist mein Bruder«, sagte Lucky, »und der ist nicht da.«
    Er hatte keinen Zweifel, dass es ein Bulle war, der da vor ihm stand. Lüttich holte den Ausweis hervor und die Metallmarke. »Ich würde Ihren Bruder gern sprechen. Wann habe ich denn da Glück?«
    Das Glück, Max anzutreffen. Lucky hätte beinah mit den Augen gerollt. Max war nie da, wenn man ihn brauchte. Nur in völlig unpassenden Momenten ging er durchs Bild, wie vorgestern, als Leni am Auto lehnte.
    »Geht es um diese Anzeige?«, fragte Lucky.
    Lüttich zögerte. Die Anzeige hatte ihn diese Spur aufnehmen lassen.
    Er schüttelte den Kopf. »Nur eine Abklärung«, sagte er.
    Eine Abklärung. Was war eine Abklärung?
    »Bitte kommen Sie wieder, wenn Max da ist«, sagte Lucky, »oder meine Mutter. Ich kann Ihnen gar nichts dazu sagen.«
    Lüttich nickte. »Ich gebe Ihnen meine Karte«, sagte er.
    »Es geht um das Mädchen im Wald«, sagte Lucky aufs Geratewohl.
    Lüttich sah ihn überrascht an.
    »Damit hat mein Bruder sicher nichts zu tun«, sagte Lucky.
    »Können Sie mir dazu was sagen?«
    Die Tür hinter Lüttich öffnete sich einen Spalt. »Guten Tag, Frau Ganske«, sagte Lucky laut.
    Lüttich drehte sich um, doch der Spalt verschwand gerade.
    »Kommen Sie rein«, sagte Lucky. Er ließ den Kommissar in das kleine Zimmer eintreten, das seine Mutter die »Gute Stube« nannte. Viel stand nicht darin. Was sein Vater damals mitgenommen hatte, war nie ersetzt worden. Ein großes Sofa gab es, auf dem sie alle Platz
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