Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
als wiege die Nacht mich sanft in ihren Armen und jage mir gleichzeitig Feuer durch die Venen.
    »Ich will nicht nach Hause«, flüstere ich und hebe meinen Kopf zum Himmel. Ich bin gar nicht betrunken. In mir pulsiert es, so stark und ziehend, dass ich rennen möchte.
    Dieser Abend ist noch nicht zu Ende.
    Mein Leben fängt gerade erst an.

So leuchtend die Nacht
    W ollten wir nicht … Ronia? Was ist los mit dir? Oh Mann, das gibt es nicht, ein Drink und du hast zu viel.«
    Jonas’ Worte sind mir lästig, sie behindern mich in meiner Wahrnehmung. Auch seine Hand, die nach mir greift, ist mir zu viel. Ausweichend mache ich einen Schritt zurück, um wieder die Klarheit von eben zurückzuerlangen. Denn die brauche ich. Ich komme mir vor wie ein Panther, der eine Fährte aufgenommen hat. Unruhig blicke ich mich um, beinahe möchte ich den Kopf recken und durch die Nase die Luft einziehen, um etwas zu wittern – ihn zu wittern. River ist noch in der Nähe, ich spüre es. Ob das seine Schritte sind, die wir hören, ein, zwei Gassen weiter, gleichmäßig und hallend?
    Mühsam widerstehe ich dem Impuls, Jonas mit dem Ellenbogen wegzuschieben, raus aus meinem Radar. Er stört mich, schon den ganzen Abend, ich hatte alleine ausgehen wollen und nicht mit einem Aufpasser. Jetzt macht mich seine permanente Gegenwart zornig.
    »Was ist? Warum bleibst du stehen?«
    Langsam atme ich aus. Seine Frage ist berechtigt, ich gehöre ins Bett und nirgendwohin sonst.
    »Ich will nicht nach Hause«, wiederhole ich dennoch, was ich gerade schon gesagt habe, leise und zu mir selbst. Noch klinge ich beherrscht, beinahe friedlich, aber ich habe heute schon einmal bewiesen, wie schnell meine Stimmung umschlagen kann. Von weinend zu anklagend, von bettelnd zu strafend. Von klammernd zu übergriffig. Jetzt erst gelangt in mein Gedächtnis, was ich stundenlang verdrängt habe. In meiner bodenlosen Schmach hatte ich Lukas in mein WG-Zimmer eingeschlossen und den Schlüssel so fest umklammert, dass er es nicht schaffte, ihn mir aus den Fingern zu ziehen – ein verzweifelter Versuch meinerseits, umzuschreiben, was längst geschehen war. Irgendwann habe ich doch aufgegeben, ich kam mir schon vor wie eine Irre. Ich schloss die Tür auf und ließ ihn gehen. Ich wollte ihn ja gar nicht mehr. Ich wollte nur nicht sehen, was passiert war.
    »Ronia.« Jonas Stimme ist voller Trost und Verstehen – und Liebe. Er möchte mir Schutz geben. Doch ich will diesen Schutz nicht, zum allerersten Mal. Lieber stürze ich mich in tausend unbekannte Gefahren, als den gewohnten Weg zu gehen. »Ronia, sei doch vernünftig, es ist drei Uhr in der Nacht, es regnet, du bist völlig fertig. Ich bring dich jetzt zu deinen Eltern oder ich nehm dich mit in die WG, wo wir noch bisschen fernsehen können und …«
    »Nein!« Gerade wollte Jonas nach meinem Arm greifen, doch nun bleibt seine Hand in der Luft hängen. »Verdammt, Jonas, ich will alleine sein, kapierst du das nicht? Ich bin heute Nachmittag erst verlassen worden, ich möchte für ein paar Minuten meine Ruhe haben!«
    Ich flüstere und schreie gleichzeitig, und doch ist da immer noch dieses freudige Wittern in mir, das mich fortzieht, fort von Jonas und allem anderen Vertrauten. Das Vertraute schmeckt bitter, ich will es nicht mehr.
    »Okay. Gut. Du weißt, dass ich dich zu nichts überreden will. Dann sieh zu, wie du klarkommst.« Jonas bindet sich den Mantel zu, dreht sich um und macht ein paar unmotivierte Schritte von mir weg, als wäre das alles nur ein Test, um zu prüfen, ob ich es ernst meine. »Aber glaub bloß nicht, du kannst dich dann wieder bei mir ausheulen!«, ruft er, sobald ich mich aus meiner witternden Starre löse und flink in die andere Richtung bewege, die Gasse hinunter. Schon nach wenigen Metern beginne ich zu laufen.
    »Es tut mir leid«, murmle ich, obwohl er meine Worte nicht mehr hören kann.
    »Pass auf dich auf!«, brüllt er mir nach und mir ist klar, dass er schon in dieser Sekunde bereut, mich allein gelassen zu haben. Das geht völlig gegen seine Berufsehre. Doch vermutlich hat er Angst, dass ich mich vollständig von ihm abkapsle, wenn er mich verfolgt. Das will er auf keinen Fall riskieren. Er ist dein Prinz, hat Johanna kürzlich erst zu mir gesagt – der Prinz aus dem Märchen, auf den doch alle Mädchen heimlich warten. Ja, mag sein, und wahrscheinlich liebt er mich sogar aufrichtig.
    Aber ich will …
    Da. Er ist es. River. Ich habe ihn gefunden. Ruckartig bleibe ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher