Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
Vom Netzwerk:
das Warum, und das mit dem Nutzen – wer mag überhaupt beurteilen, was einen hat und was nicht?
    Nehmen wir doch die antifaschistischen Radfahrer und ihre Helme als Beispiel: Sie sind inzwischen am Kirchvorplatz versammelt, der Hirtentäschel zeigt ihnen seine Engel und erzählt ihnen seine Geschichte, und Frau Steiner macht Herrn Hirtentäschel schöne Augen, und sie hat das auf ihre eigene Weise so was von drauf, der Hirtentäschel kann sich gar nicht richtig konzentrieren, und jedenfalls tragen viele der Fahrradfahrer immer noch ihre Fahrradhelme, weil hast du einmal einen Fahrradhelm aufgesetzt, gibt es keinen gewichtigen Grund, ihn bis zum Schlafengehen auszuziehen, es sei denn, die Riemen drücken. Und manch einer wird vielleicht sagen, was soll das mit den Fahrradhelmen, die haben doch keinen Nutzen, wenn man nicht fährt! Ja, das ist jetzt die Parallele zu den Glocken, denn es ist so, dass die Radfahrer erst gar nicht auf die Glocken geachtet haben, jetzt aber die bunt behelmten Köpfe heben, da sich nämlich aus dem herkömmlichen Geläut ein kraftvolles, hartes schält und wieder daraus eine feine Melodie, ja, ist gut, Melodien schälen sich nicht, hör doch mal zu, dem Johann gelingt gerade etwas, ein Liedchen, sein Liedchen, und die Radfahrer sind sofort begeistert, und was hat denn bitteschön mehr Nutzen als etwas, das die Menschen begeistert? Johann spielt alleine auf drei Glocken, was richtig schwierig ist, eigentlich brauchst du für jede Glocke jemanden, aber der Junge hat gut aufgepasst und hat Lust und mehr braucht man meistens nicht, um Erfolg zu haben, und Johanns Hände sind nicht mehr zart, er hat den Glöcknerzylinderhut auf, so geht das. Lada und Suzi sind oben bei ihm, essen Gummibärchen. Lada guckt runter auf sein Dorf, und dann spuckt Lada ein Gummibärchen aus, und das fliegt, und da siehst du mal, das ist es, was wir meinen: Es hat auch mal einen Nutzen, so einen Fahrradhelm auch abseits des Fahrrads zu tragen.
    Die Glocken verklingen, das Lied ist aus.
    Die Fahrradfahrer zögern. Sie wissen jetzt nicht, vielleicht ist das mit den Glocken in Fürstenfelde immer so geil, dann ist Klatschen irgendwie unangebracht, du klatschst ja auch nicht, wenn einer jeden Tag ein leckeres Wurstbrot macht. Der Glöckner nimmt ihnen die Entscheidung ab und beginnt beherzt in die Hände zu schlagen, und wenn einer vorgeht, ist es für die anderen leichter zu folgen.
    In der Heimat ist Frau Schwermuth wieder an ihrem Platz. Die Glocken, die ihr Sohn hat sprechen lassen, klingen in ihren Ohren nach, sie hört dem Kalifornier kaum zu. Sie ist nur froh, dass er wirklich unser Fürstenfelde meint, und nicht, wie sein Landsmann, der die Heimat mal besuchte, das polnische. Das war schon traurig, wie Frau Schwermuth dem beibringen musste, dass er wohl nach Boleszkowice muss, nach Polen. »Many, many have lived here, peasants, counts, witches and thieves, but no Mennonites. Trust me, I would know.«
    Ja, sie wüsste das bestimmt.

VOR DEM ANNENFESTE IM JAR 1599 HAT AM MORGEN EIN UNGEHEUERIGER WIND GEWÜTET , der an Gebeuden grossen Schaden gethan, Dachen abgedeckt und gantze Scheunen eingerißen. Auch trieb er ein Volck Rebhühner in die Stadt und schlug sie in den Gaßen also nieder, daß die Leute erst in Schrecken davongelaufen, sich aber schnell besonnen haben, und jene Vogeln, die nicht wider aufkommen, gegriffen und als Festmahl gebraten.
    Ob dieß ein Wunderzeichen gewesen für das seltzame Geschehniß, welches beim Feste sich ergeben, obliegt nicht uns zu ermeßen. An dem Tag solten die Reuber und sonstiges mehr, Hinnerk Lievenmaul und Kunibert Schivelbein, genant Langbeiniger Kuno, durch Feuer vom Leben in den Todt gebracht werden. Mit allen Glocken ist dieß lang außgeleutet worden, als die Verurtheilten dem Scheiterhauffen als Beute übergeben worden. Die Zuschauer aßen Rebhühner, die Flammen leckten den Todtgeweihten schon um die Waden, da erwachte wider der Wind und trug Funcken in die Stadt, daß diese in Feuer aufgegangen.
    Ihr Elemente! Den Unheimlichen unheimliche Verbundete! Die Confusion und Turbatio waren gross, hierinnen Lievenmaul und Schivelbein gewandt die Flucht ergriffen. Mancher sagte, es habe geschienen, als gingen die Schurcken im Rauche auff!
    Eine schedlichere Feuersbrunst konnte, Gott in Gnaden, abgewandt werden, daß nur vier Häuser vom Brand verheert. Nachdem der Rauch verflogen und die Diebsgäste entkommen, sind Rufe erschollen, die darthaten, nicht des Scheiterhauffens
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher