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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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Morgensonne im Gesicht. Ein Tattoo auf seinem Oberarm: die Buchstaben »B« und »D« in einem Herz, dazu die Jahreszahl 1977.
    Wir glauben, dass das Frau Kranz’ Lieblingsbild ist, weil sie es dem Rumänen geschenkt und gewidmet hat. Sie widmet sonst keine Bilder. Und jetzt hängt es irgendwo, vielleicht in Baia Mare, vielleicht in Vi ş eu de Sus, ein Morgen in der Uckermark 2012.

AM MORGEN VOR DEM FEST geht das Dorf nicht drei Mal um den Acker und sagt einen geheimen Spruch auf, es streut nicht auf jede Ecke Körner für die Vögel, damit die sich davon was nehmen, statt den Acker zu bestehlen, das Dorf kennt den geheimen Spruch nicht mehr.
    Eine Mädchenschar schreitet nicht, mit bunten Seidenbändern angetan, die Felder ab, sie lärmt und poltert nicht, um den Feldgeistern und Kobolden kundzutun: Wir sind hier, bleibt fort, auch der Winter gehört uns. Die Mädchen werden nicht von singenden jungen Männern begleitet, und die Alten erwarten die Rückkehr der Jugend nicht gesellig im Dorfkrug, um hernach gemeinsam das Fest mit einem Tanz um den Scheiterhaufen zu beginnen.
    Das Dorf hat sich keine Nelkensträuße an die Brust gesteckt und sitzt nicht einmütig beisammen, die alten Lieder singend, und sagt nicht, wenn es in der Nacht vor dem Fest geregnet hat:
    »Bringt die heilige Anna Regen, so wird er zum Himmelssegen.« Es ist dem Dorf egal, ob es am St. Annentag regnet, help Got Maria heil St. Anna help Got flüstert niemand mehr, und der St. Annentag ist eigentlich im Juli.
    Der erste Drescher hat nicht die Annenkrone angefertigt, und die Krone wird keinem noch nicht versprochenen Mädchen aufgesetzt, durchwirkt von Blumen, auch keiner Dämonenpaktiererin, durchwirkt von Dornenzweigen. Keine Kronenträgerin wird um den Scheiterhaufen tanzen oder darauf brennen, und es flitzen nicht die weißgekleideten Kinder zwischen den Festtafeln, und die Harken sind nicht geschmückt mit bunten Bändern, und die bunten Bänder flattern nicht im Wind, manchmal geht kein Wind.

DIE SENIOREN SIND WACH. Imboden macht Morgengymnastik, 1 – 2 – 3.
    Frau Steiner macht Morgengebet. Frau Steiners goldene Zähne, ihr weißes Haar. Wie die Leute sie als junge Frau angestarrt haben. Da war das Haar rot und sie am liebsten allein mit ihren Katzen oder unterwegs im Kiecker auf Kräutersuche. Schwierig, schwierig. Ist die Steiner also unter die Gläubigen gegangen und hat darauf geachtet, mehr mit Menschen gesehen zu werden. Bald starrten die weniger, außer den Männern, weil schlecht sah sie nicht aus. Heute ist das Haar weiß, und die Blicke sind gleichgültig.
    Frau Steiner trägt Werbeprospekte aus, Netto und Saturn und so weiter,und bei Globetrotter in Prenzlau hat sie sogar selbst mal eingekauft, als ein Paar Wanderstiefel runtergesetzt war, das ihr gefiel . Sie ist nach wie vor unterwegs im alten Wald. Aus fünf Katzen sind dreizehn geworden, aber heute giltst du mit so vielen Katzen als schrullig, mehr nicht.
    Wenn sie nicht aufpasst, scheint der rote Haaransatz durch.
    Drei Ehemänner hat die Steiner überlebt, jeder ist nach genau neun Monaten Ehe gestorben. Schwierig, schwierig. Es könnte ja jemand nachrechnen. Es könnte ja jemand etwas sagen und damit etwas anderes meinen.
    Sagt aber niemand etwas anderes als: die arme Steiner. Drei Männer. Kinderlos geblieben. Fromm. Muss Werbeprospekte austragen.
    Ihr Morgengebet hört niemand, außer uns. Und das ist kein Morgengebet, oder es ist eines, das man zischend aufsagen muss und bei dem man sich schütteln muss wie im Fieber. Die Katzen miauen, sie sind hungrig.
    Ich schlage mich mit Grim und mit siben Teufelinnen.
    Die Erste soll In fueren, die Andere soll In rueren.
    Die Dritte soll In quälen, die Vierte soll In plagen.
    Die Fünfte soll In engsten, die Sechste soll In blinden
    Die Sibende soll In mir bringen.
    Frau Steiner drückt die Lippen an den Kopf einer kleinen Steinfigur in ihrer Hand und schließt die Augen. Es ist ein Figürchen der heiligen Anna, Mutter von Maria, Patronin der Witwen.
    Die Senioren strecken sich. Die Senioren lüften die Kissen aus.

KAFFEEMASCHINE FÜR KAFFEEMASCHINE ERWACHT DAS DORF. Eier werden hart gekocht, die Angler holen ihren Fang. Ditzsche reinigt sich und das Gehege, guckt den Hühnern unter die Flügel. Die Bäckerei hat einen Kaffee verschenkt, hat Puddingbrezel und O-Saft verkauft, nur Frau Kranz ist mal wieder abgehauen, ohne zu bezahlen, aber vielleicht war die Milch auch so gemeint gewesen.
    Das Betläuten ist ausgefallen.
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