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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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lauere, oft in den Mantel der Israel-Kritik gehüllt. Am Ende der Rede gab Hirtentäschel drei Beispielsätze, wie man Israel-Kritik üben kann, ohne – gewollt oder ungewollt –antisemitische Äußerungen zu treffen.
    Frau Schwermuth ist froh. Über den Kuchen, über die Radfahrer, über den Applaus für den Hirtentäschel. Aber so oft kaut man Kuchen nicht wie sie, so kurz angebunden ist man unter Freunden und Gästen nicht, so früh verlässt man keine Veranstaltung, die man selbst organisiert hat – es sei denn, man ist nicht wirklich froh und möchte nicht, dass die anderen sich Sorgen machen.
    Auf der Straße kommen Frau Schwermuth die Tränen. Die Leute spazieren, öffnen die offenen Türen des Kunsthandwerks, Keksdosendeckel scheppern. Das Dorf stellt sich den Fragen, das Dorf zeigt seine Talente. Jetzt nur noch schnell nach Hause. Frau Schwermuth wischt sich über die Augen.
    Der Tag riecht bitter nach zu lang gebrühtem Kaffee, süß nach Apfelkuchenzimt und bittersüß nach Pferdekot. Am Haus der Heimat streichelt der Hufschmied ein Pferd, versucht es zu beruhigen. Ein grimmiges Mädchendutzend umzingelt die beiden. Es will, dass jetzt irgendetwas Faszinierendes geschieht zwischen dem großen Mann und dem großen Tier, das wurde ihm versprochen.
    Jemand ruft Frau Schwermuths Namen, es ist der Zieschke im Fenster vom Haus der Heimat. Er wirkt gestresst, klingt dankbar, »Mensch, Johanna, gut, dich zu sehen«, und ob sie nicht für ihn übernehmen könne in der Heimat. Alle würden was von ihm wollen, so gut kenne er sich aber nicht aus. Außerdem müsse er für die Auktion aufbauen.
    Frau Schwermuth blinzelt die Tränen weg.
    In der Heimat herrscht ganz schön Betrieb. Ein kalifornischer Rentner beharkt sich höflich mit Neubrandenburgischen Ausflüglern um den einzigen Tisch. Er möchte seine Vorfahren in den Leitz-Ordnern ausbreiten, sie ihren Proviant in der Alufolie.
    Frau Schwermuth setzt sich. Ihr Schreibtisch, ihre Zeittafel, ihre Leitz-Ordner. Der kalifornische Rentner, der sie fragt: »Are you the one to help me with my ancestry?«
    Das Frühstücksfernsehen ist da. Es fand Ditzsches Innenhof nicht so toll wie den vom Haus der Heimat mit dem alten Lehmofen und dem Brunnen, also hat das Fernsehen Ditzsche gebeten, ein Huhn mitzunehmen, damit man hier drehen kann. Ditzsche ist das völlig egal; er hat sich rasiert und sein kleinstes Hemd in die Hose gesteckt.
    Dem Zieschke war es nicht ganz egal, dass ausgerechnet der Ditzsche ausgerechnet in der Heimat ein Interview gibt, aber gut: Fernsehen ist Fernsehen, und es ist ja das Reisefieber -Segment. Vielleicht kriegt der eine oder der andere ein Fürstenfelde-Fieber, da ist uns jeder Erreger recht, auch wenn er von Ditzsche und seinen Hühnern kommt.
    Was Ditzsche gleich erzählt, hört Frau Schwermuth nicht. Sie zieht die Kellertür hinter sich ins Schloss. Auf die Fragen des kalifornischen Rentners war nur eine Antwort möglich: »We have that in the basement, let me get it for you.«
    Es wird um Stille gebeten im Innenhof. Kamera läuft, und Ditzsche darf loslegen, die Henne auf dem Arm. Die Moderatorin riecht nach Shampoo, und das macht Ditzsche ruhiger, weil er glaubt, ebenfalls nach Shampoo zu riechen, da hat man schon was gemeinsam. Am Ende bittet er, einen Satz privat an die Zuschauer richten zu dürfen, und sagt etwas über Briefe und Stasi, und er glaubt vielleicht, das wird live gesendet, aber es wird erst ein paar Tage später gesendet, und Ditzsche wird fünf Sekunden lang zu sehen sein, plus weitere drei ein Close-Up seiner Henne, und der private Satz wird Gott sei dank rausgeschnitten worden sein, und der einzige, der bleiben wird, lautet: »Ich bin Dietmar Dietz, und hier haben wir ein Deutsches Zwerg-Reichshuhn, Farbenschlag: weiß-schwarzcolumbia.«
    Das Horoskop-Segment war aber live. Britta Hansen begrüßte die Zuschauer aus ihrer Heimat und schloss das Horoskop diesmal mit Schiller: »Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird die Wahrheit nie erobern.«
    Kein Keller bei uns ist so tief, dass du unsere Glocken darin nicht hörst. Weich und harmonisch – die Alte scheint gutgelaunt – türmt das Geläut sich über Fürstenfelde. Das ist dein Sohn, Johanna, und wir wissen, er wird die Prüfung so was von bestehen, nein, das wissen wir nicht, wir würden es ihm aber gönnen. Es ist doch fabelhaft, sich zu beweisen in Tätigkeiten, die keinen Nutzen haben. Es sollte uns sowieso immer um das Tun gehen und nicht um
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