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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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den bitteren Johannisbeersaft. Rücken gerade: Vater. Dessen Leben vor den Neubauten hieß: Schafe hüten. Viele unvollendete Sätze beim Frühstück. Lassen wir den jetzt aus dem Spiel. Suzi lächelt.
    Magdalene von Blankenburg macht morgens Yoga unter der Linde am Ufer. Heute ist es vielleicht zu nass. Yogahosen, beste Hosen. Suzi kann hinter den Büschen das Schlösschen erkennen, die Türmchen stecken im Nebel, so sehen Märchen aus, so sieht es aus, wenn ein Blaublütiger sagt, dass er was haben will. Suzi kämmt eine Strähne aus der Stirn.
    Nahm Suzi zur Arbeit mit: Vater. Fuhren herum. Vater in Uniform, auf dem Rücken einen Tank wie die Taucher. Der kleine Suzi, wartend auf Vater in Wohnzimmern von fremden Leuten. Immer alles annehmen, was die Leute einem anbieten: Vater.
    Der stumme Suzi klettert über den Zaun. Er steckt den Arm vorsichtig in die Büsche. Wartet. Spinne auf dem Handrücken, winzige Spinne. Suzis Vater fing Fliegen aus der Luft. Suzi pisst in den See. Es wird wärmer unter der Decke aus Nebel.
    Ein barockes Landschlösschen im Rücken sieht jede gutaussehende Frau noch mal besser aus. Magdalenes Anblick: Wiedergutmachung für die Schlepperei bei Eddie. Blond, die Augen graublau. Könnte eine von uns sein. Der See summt. Insekten ahnen was. Ahnen Wetter. Yogamatte. Yogahose. Yogazopf. Yogabuch. Ist kein Yogabuch, sondern Hugo von Hofmannsthal.
    Magdalene macht den Sonnengruß. Das weiß Suzi nicht, wie das heißt. Der Nebel löst sich auf. Der einzige vollendete Satz, den Vater zu Suzi sprach: »Nun sage mir die ganze Wahrheit, lüge nicht, Suleyman.« Letztes Bild: Vater mit Jeanshemd, Jeans und Tarnrucksack, riecht aus dem Mund nach Johannisbeeren bitter und liebevoll. Geld für den Unterhalt kommt inzwischen an, gelegentlich ein Brief. Alles okay. Suzi lächelt, die Sonne ist da.
    Magdalene wellt sich in der Sonne weich. Suzi vergisst Mutter, vergisst Gölow, Lada, Vater, Suzi ist der Hauptinhaber aller Zeit der Welt. Magdalene liest jetzt. Tut so, als ob. Die Luft ist noch nicht warm, aber schon schön genug: Suzi zieht den Pulli aus, setzt sich drauf. Im Unterhemd. Magdalene weiß von Suzi. So oft wie der an der Stelle angelt. Als sie sich einmal zufällig in der Eisdiele begegnen, grüßt sie, aber er grüßt nicht zurück.
    Suzi pfeift kaum hörbar. Eine Maus schnüffelt sich aus dem Schilf. Suzi legt ein Gummibärchen ins Gras. Die Maus schnappt es sich.
    Der See lässt eine Elritze springen. Im Schilf glitzert etwas. Zwei Mäuse huschen von dort nach da. Suzi lächelt. Spendiert noch ein Gummibärchen. Pfeift. Sie bringen ihm das Glitzern. Es ist leicht gebogen, ein Krönchen wie bei den Miss-Wahlen. Nur schöner. Klar, schöner, weil Magdalenes.
    Gut.
    Die Mäuse ab.
    Gut.
    Suzi rüber. Gibt Magdalene die Tiara. Magdalene liest ihm vor. Zwischen den Sätzen spürt er ihren Blick auf sich, auf seinem Unterhemd, seinem Drachen, auf seinen Händen, auf den Wangen und den Schläfen. Er schließt bisweilen die Augen, um ihn auch auf den Lidern zu spüren mit der Sonne.
    Hugo von Hofmannsthal lächelt.

FRAU KRANZ WAR GUT GERÜSTET, aber der See und der Wind sind ihr kalt in die alten Knochen gestiegen und haben ihre Hände langsam gemacht und ihre Erinnerungen eingefroren. Frau Kranz ist durchgefroren und durcherinnert und schlechtgelaunt, und dass sie mit ihrem Gemälde unzufrieden ist, ist kein Wunder.
    Und jetzt fängt auch noch die Zieschke sie vor der Bäckerei beschwingt ab, Herrgott noch mal, ist doch viel zu früh für Heiterkeit, aber die Zieschke ist so eine mit Strähnchen, solche schlagen emotional in alle Richtungen extrem aus. Sie wedelt mit dem Nordkurier wie ein Soldat nach siegreicher Schlacht mit einer Fahne: Frau Kranz ist in der Zeitung, eine ganze Seite! Mit Foto! Auf dem Foto lächelt Frau Kranz, kann sich jetzt aber an gar keinen Grund zum Lächeln erinnern, und die Zieschke will ihr das doch wohl nicht auch noch auf der Straße vorlesen! Frau Kranz schiebt die Bäckerin in die Backstube zurück, und dort fällt ihr ein, wie sie die beruhigen könnte: Sie zeigt der Zieschke das Gemälde von der Nacht. Ja, doch, das soll so in die Auktion. Es funktioniert: Zieschkes Enthusiasmus schrumpft zusammen.
    Sie sagt: »Oh.«
    Frau Kranz schnappt sich die Zeitung und bittet die Bäckerin, ihr doch eine warme Milch zu machen. Ein wenig neugierig ist sie schon. Die Einleitung mit Biografie und Werdegang überspringt sie, weil sie das ja alles weiß. Den Mittelteil mit der
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