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Von Menschen und Monstern

Von Menschen und Monstern

Titel: Von Menschen und Monstern
Autoren: William Tenn
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den Anfang. Die Hände in die Hüften gestemmt, umkreiste sie ihn kampflustig. Ihre Augen sprühten Verachtung: Ihre schweren Brüste rollten wie zwei geschwollene Pendel hin und her.
    »Eric der Einzige«, stimmte sie an und grinste. »Eric, das Einzelkind. Deine Eltern haben kaum ein einziges Kind zustande gebracht. Hast du überhaupt das Zeug zu einem Mann in dir?«
    Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Aber gegen eine Frau durfte niemand die Hand erheben. Außerdem sollte mit dieser Provokation der Grad seiner Selbstbeherrschung geprüft werden.
    »Ich denke schon«, quetschte er nach einer langen Pause hervor. »Und ich bin bereit, es zu beweisen.«
    »Dann los!« keifte das Weib. Wie ein Speer zuckte ihre rechte Hand mit einer langen spitzen Nadel auf seine Brust nieder. Eric spannte die Muskeln und versuchte, jeden Gedanken auszuschalten. So hatte er es von den Männern gelernt.
    Die Nadel bohrte sich in seine Brust, verweilte, wurde wieder zurückgezogen. Sie versuchte es da und dort. Schließlich fand sie einen Nerv in seinem Oberarm. Eric biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Seine geballten Fäuste zuckten hilflos, aber er hielt still. Er schrie nicht, er rührte sich nicht vom Fleck, er wehrte sich nicht.
    Sarah die Gesundmacherin trat zurück und musterte ihn abschätzend. »Ein Mann ist das noch nicht«, sagte sie mißbilligend, »aber vielleicht wird noch einer aus ihm.«
    Er durfte aufatmen, die Leibesprüfung durch die Weiber war beendet. Jetzt kam die Reaktion. Schweiß überzog seinen Körper und troff beißend in die blutigen Kratzwunden.
    »Hat es weh getan?« erkundigte sich Rita, die alte Schatzhüterin, aber er wußte, daß ihr Mitgefühl nicht echt war.
    »Etwas. Nicht sehr«, antwortete er.
    »Die Bestien werden dich viel grausamer zerfleischen, wenn sie dich beim Stehlen ertappen. Weißt du das? Solche Schmerzen können wir dir gar nicht zufügen.«
    »Ich weiß es. Aber Stehlen ist wichtiger als die Gefahr, in die ich mich begebe. Stehlen ist die wichtigste Aufgabe jeden Mannes.«
    Rita die Schatzhüterin nickte. »Und warum ist das so?«
    Das Stichwort war gefallen, und er schnurrte seine Lektion herunter.
    »Damit wir uns an den Bestien rächen können. Wir müssen versuchen, sie vom Planeten zu vertreiben, die Erde wieder für die Menschheit zurückerobern ...«
    Er ackerte sich durch das langatmige Glaubensbekenntnis und pausierte nach jedem Absatz, damit die Schatzhüterin die nächste Frage stellen konnte.
    Im großen und ganzen verlief die Prüfung glatt, aber ständig geisterte das Gespräch durch seine Gedanken, das er mit seinem Onkel in der anderen Höhle geführt hatte. Während er die vertrauten Sätze herunterleierte, fragte er sich, wie sie mit den Ansichten seines Onkels zu vereinbaren seien. Seine geringe Erfahrung war diesem schwierigen Problem nicht gewachsen.
    Nach Beendigung seiner Litanei sagte Rita die Schatzhüterin: »Das also hattest du zur Weisheit unserer Ahnen zu sagen. Jetzt wollen wir hören, was sie zu dir sagen.«
    Ohne den Kopf zu drehen, gab sie ein Zeichen. Zwei junge Mädchen zerrten die große Orakelmaschine herbei.
    Rita die Schatzhüterin drehte am Knopf des rechteckigen Apparates, und er begann zu surren. Sie warf die Arme hoch, breitete sie zitternd aus, und alle, Krieger, Frauen, Kinder und Halbwüchsige, ja, sogar der Häuptling selbst, alle senkten die Köpfe.
    »Lauschet den Worten unserer Väter«, psalmierte sie. »Öffnet eure Augen für die Wunder, die sie vollbrachten. Als ihr Ende nahte und sie wußten, daß nur wir, ihre Nachkommen, die Erde zurückerobern können, die sie verloren hatten, da bauten sie den künftigen Generationen der Menschheit diese Maschine als Brücke zu jener Weisheit, die einst erreicht war und die wieder über uns kommen muß.«
    Die alte Frau senkte die Arme. Die Köpfe hoben sich, und alle Augen starrten erwartungsvoll die Wand gegenüber der Orakelmaschine an.
    »Eric der Einzige«, rief Rita aus, setzte mit einer Hand die Scheibe an der linken Seite der Maschine in Bewegung und stach mit dem Zeigefinger der anderen Hand wahllos hinein. »Dies ist der Väterweisheit letzter Schluß, der nur dir und keinem anderen zugedacht ist. Diese Vision wird dein Leben und Sterben bestimmen!«
     

 
3.
     
    Mühsam atmend starrte er die Wand an. Jetzt sollte er sein Schicksal erfahren. Vor vielen Jahren hatte das Orakel seinem Onkel den Spitznamen verliehen, den er seit damals trug:
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