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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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Tür stehen und wartet, holt Luft, tritt ein und schweigt.
    Am 8. März 2010, im Zimmer des Arztes, steht Sarah wieder auf ihren Beinen, ein Schritt, zwei Schritte, drei, sie gurrt vor Glück.
    Ich habe nun eine breitere Hüfte wegen diesen blöden Platten darin, notiert sie.
    Sarah schreibt: Ohne Krücken werde ich bald nach Amerika düsen.
    Es ist Mai, Sarah übt im Rehabilitationszentrum des Kinderspitals Zürich, Affoltern am Albis, fünf Wochen ist sie dort, Physiotherapie, Wassertherapie, Trainingstherapie, Klettergruppe, Koordinationsgruppe, Massagen – allgemeiner Eindruck: Sarah ist eine freundliche, sehr reife und motivierte junge Frau.
    Mir wird hier alles zu viel. Es ist Zeit, dass ich nach Amerika komme und neu beginne.
    Bevor Sarah, begleitet von Eltern und Schwester, ins Flugzeug nach New York steigt, schreibt sie die Geschichte ihrer Krankheit auf, sechsundfünfzig Seiten, Cancer & I, auf dem Umschlag ein helles Bild, Sarah und ihr langes tizianrotes Haar.
    Mit Eltern und Schwester will Sarah durch Amerika reisen, Washington, Philadelphia, Denver, San Francisco, Atlanta, und dann allein bei ihrer Gastfamilie bleiben, in Warner Robins, Georgia, ein wunderbares Jahr lang.
    An Krücken steigt Sarah ins Flugzeug, LX 16, 11. Juli 2010, 09:55, im Rollstuhl verlässt sie den JFK Airport.
    Sarah will sofort ins Hotel.
    In Ocean City, Tag zehn in Amerika, lässt sie sich ein Tattoo auf den Nacken malen, Henna, etwas heller als ihr Haar. Der zwölfte Tag führt hinauf nach Denver, Colorado. Der Schwester, als sie schon im Mietwagen sitzt, wird schlecht, die Mutter führt sie zur Toilette, die Schwester erbricht, aber Sarah will jetzt ins Hotel, verdammt, endlich ins Hotel, ich bin megamüde!
    Die Welt dreht sich nicht allein um dich, sagt der Vater.
    Sarah, weiß und wütend, hinkt zur Toilette: Wann kommt ihr endlich, verdammt, ich will ins Hotel.
    Mir ist schlecht, sagt die Schwester.
    Halt die Fresse!, lärmt Sarah.
    Am nächsten Morgen, in Fairplay, 600 Einwohner, 120 Kilometer hinter Denver, sagt sie: Mami, mir geht’s beschissen.
    Im Internet findet der Vater eine Klinik, zwei Stunden von Fairplay entfernt, Frisco, Colorado, die Mutter setzt sich ans Steuer und quert, Sarah auf der Hinterbank, den Hoosier Pass, Kurve nach Kurve, Colorado State Route 9, es ist der 23. Juli 2010.
    Thrombos 65.
    65000 Blutplättchen in einem Mikroliter Blut. Normal sind 300000.
    Die Mutter faxt die Zahl ans Kinderspital Luzern. Das antwortet sofort: Bitte lassen Sie Sarahs Blut noch einmal analysieren. Sind die Werte noch immer schlecht, ist ein Rückfall zu vermuten.
    Noch 50.
    Jetzt sei wohl nichts mehr auszuschließen, mailt das Kinderspital.
    Also kommen wir nach Hause, schreibt die Mutter.
    Am 28. Juli 2010 reisen Sarah und ihre Mutter von Salt Lake City nach San Francisco, von dort nach Zürich, vom Flughafen direkt ins Kinderspital Luzern, 2 West 226, der Vater und die Schwester folgen zwei Tage später.
    Im Knochenmark Ihrer Tochter sind Zellen, die dort nicht hineingehören.
    Ein Rückfall?
    Vincristin
    Daunorubicin
    Der Vater schluckt Antidepressiva.
    Sarah greift zur Schere, fasst sich ihr Haar, schneidet Strähne um Strähne ab, nackenlang, die Coiffeuse kommt aus dem Dorf gereist und bessert nach, die Mutter filmt, 4. August 2010. Eine Woche später ist die Coiffeuse wieder auf 2 West, kürzt das Haar auf zwei Millimeter.
    Und wenn er mich jetzt so sieht?
    Er liebt dich auch ohne Haare, sagt die Mutter.
    Mami, bleib im Zimmer, wenn er kommt.
    Ich habe eine Idee, sagt die Mutter. Er soll, bevor du das Kopftuch abnimmst, seine Hand unter das Kopftuch stecken, er soll zuerst fühlen, bevor er sieht.
    Bleib hier, bittet Sarah.
    Der Freund streichelt ihren Kopf, super siehst du aus.
    In ihr Notizbuch schreibt Sarah die Namen der Restaurants, die sie besuchen wird, irgendwann später, 1 Mövenpick (Sushi), 2 Löwen, 3 Thai-Garden, 4 Old Swiss House (Schnitzel & Nudeln), 5 Hongkong, 6 Zum weißen Kreuz (ital. Pizza), 7 Walliser Kanne, 22. August 2010.
    Sarah ist siebzehn.
    Der Mutter, die meistens neben ihr ist, neben ihr lacht und schläft, schickt sie eine E-Mail nach Hause, sie möchte, schreibt Sarah, ihren Freund verwöhnen, aus Dankbarkeit für alles, seine Liebe, seine Treue, seine Geduld, Mami, was hältst du davon, wenn ich, falls meine Blutwerte dies zulassen und ich am Samstag nach Hause darf, wenn ich ihn so überrasche: Thrombosestrümpfe (cool, haha) / blauweiß gestreifter Tanga, den du mir in Amerika
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