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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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Mutter den Vater.
    In ihren Ohren hört Sarah den Puls, der Kopf schmerzt, für den Gang ins Bad ist Sarah zu schwach, die Mutter bringt sie ins Spital, Bluttransfusion, ein Beutel, zwei Beutel, 0 positiv.
    Sarah erbricht.
    In Amerika führe ich ein Café, am liebsten in Colorado.
    Einmal sitzen beide Eltern an ihrem Bett, 2 West 224, und Sarah sagt zur Mutter: Sag dem Typ neben dir, er soll verschwinden.
    Im System Familie, Herr M., haben Sie eine wichtige Funktion, die des Blitzableiters, des Sündenbocks, sagt die Psychologin.
    Der Vater versucht es mit Squash – die Achillessehne reißt.
    Sarah notiert: Wie ein Fisch sehe ich nun aus, mein Kopf ist ein Mond.
    Am 26. Februar 2008 beendet Sarah den zweiten Chemoblock, zwei Wochen später beginnt sie den nächsten, Protokoll M.
    Schön bist du, sagt die Mutter, die jetzt immer neben ihr ist, vier Tage im Spital, zehn zu Hause, vier im Spital, zehn zu Hause.
    6-Mercaptopurin
    HD – Methotrexat
    Leucovorin Rescue
    Ist es schon Sommer?
    Bald, sagt Mami.
    Wie geht es Papi?
    Er humpelt an Krücken.
    Mami?
    Ja?
    Sag Papi, dass ich ihn mag.
    Ist Sarah zu Hause im Dorf, liegt sie auf dem Sofa, schaut Friends auf DVD, zehn Staffeln, 236 Episoden, 86 Stunden. Ist sie im Spital, wacht die Mutter im Nebenbett, MTV, A Shot at Love mit Tila Tequila, sie kichern, so ein Quatsch!, irgendwann löschen sie das Licht und stellen sich die Krankheit Krebs vor, runde Wesen mit Beinen und Armen, Augen und Nasen, schwarze und weiße. Die weißen tragen Helme und schlagen auf die schwarzen ein, sie schreien und wüten, treiben die Gegner hinaus über eine Klippe, jetzt habe ich wieder einen erwischt, jubelt Sarah, ich auch, sagt die Mutter.
    Wie geht es dir heute?, fragt der Arzt.
    Gut, lügt Sarah.
    Lumbalpunktion zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel, einmal im Monat, es tut nicht mehr weh.
    Ein trauriger Clown bin ich, notiert Sarah in ihr Heft.
    Sie weint nicht vor Fremden.
    Nachts hört die Mutter sie wimmern.
    Sarah?
    Lass mich.
    Oder ich könnte in Amerika, statt Wirtin, Wedding Planner werden.
    19.05.08, Re-Induktion Phase II/a
    05.07.08, Re-Induktion Phase II/b
    6-Thioguanin
    Cytarabin
    Methotrexat i.th.
    Sie kann nicht mehr stehen, Sarah hat Durchfall, ein Rotavirus, hoch ansteckend. Sarah liegt auf der Infektabteilung, wer zu ihr tritt, ist in Kunststoff gehüllt, Sarah schweigt und starrt zur Decke, hört Radio Pilatus, zu schwach, sich zu drehen, wenn eine Pflegerin sie wäscht.
    Hat sie wieder die Kraft dazu, schickt Sarah eine SMS, hey, hier sind Hölle und Teufel los.
    Bluttransfusion.
    Ein Pilz in der Lunge.
    Die Ärzte versuchen es mit AmBisome, Sarah erwacht, die Wirbelsäule brennt.
    Mami! Mami!
    Es ist elf Uhr nachts, die Mutter im Nebenraum, Sarah ruft sie an, 079 273 61 64, und schreit vor Angst: Mami, wo bist du?
    Eine Pflegerin hört die Schreie und ruft den Arzt: Sofort röntgen, jetzt ist der Darm geplatzt, jetzt müssen die Chirurgen her, aber man kann sie ja nicht operieren, geht nicht, ihre Blutwerte sind zu schlecht, sie wird uns verbluten, geht nicht.
    In ihrem Bett rollen sie Sarah zur Radiologie, die Mutter wartet, kauert sich hin, Eis auf den Armen, um nicht ohnmächtig zu werden. In ihrem Bett rollen sie Sarah zurück auf 2 West. Und plötzlich rennt der Arzt aus dem Lift, atemlos und glücklich: Der Darm ist ganz.
    Und irgendwann in der Nacht steht der Vater neben Sarah, Tränen in den Augen, und sagt: War wohl Fehlalarm.
    Behalt deinen Senf für dich, sagt Sarah.
    AmBisome auch am nächsten Tag, am übernächsten, noch sieben Mal.
    Wieder brennt die Wirbelsäule.
    Eine Pflegerin greift zum Schmerzmittel, Nubain, das Licht tut weh, jeder Ton, man verdunkelt den Raum und flüstert, Sarah lacht auf, sie beginnt zu gackern, zu reden, Sarah sieht Pizze durch die Luft fliegen, wie Schmetterlinge flattern sie durch 2 West, aber lieber als Pizze hat Sarah jetzt Beeren, Himbeeren, Erdbeeren, Brombeeren, Mami, ich will jetzt Erdbeeren!, Sarah redet drei Stunden lang, vier, fünf, sie redet über Amerika, wie schön es dort sei, Amerika ist das Beste überhaupt, dort gibt es alles, Wüste, Wald, Meer, Stadt, Land, Dschungel, Wolkenkratzer, Nebel, Sonne, Schnee, Bären, Seelöwen, Krokodile, dort fährst du stundenlang und siehst kein Haus, aber hier in der Schweiz, ach Scheiße, hier ist alles so eng, so klein und niedrig, aber in Amerika, wenn du dort, zum Beispiel in der Wüste von Nevada, wenn du dort an einer Tankstelle bist und nicht weißt, wo du
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