Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Autoren: Georg Heinzen
Vom Netzwerk:
Stadtmagazin bald in allen deutschen Großstädten am Kiosk lag und von einer Zentral-Redaktion gelenkt wurde, erschienen meine Filmkritiken bundesweit, was mir einen gewissen Ruf einbrachte. Ich wurde auf Festivals eingeladen und zu Premieren. Irgendwann verstand ich so viel vom Filmemachen, glaubte ich zumindest, dass ich mich fragte, warum ich nicht Drehbücher schrieb.
    Mein erstes Drehbuch handelte von drei schwulen Außerirdischen, die ein Raumschiff kapern, um zur Christopher-Street-Day-Parade nach Berlin zu fliegen.

    Sechs Monate, nachdem ich das Script mit der Post an ein Dutzend Produktionsfirmen geschickt hatte, erhielt ich einen Anruf. Es war der erste Anruf, bisher waren immer nur standardisierte Briefe zurückgekommen: Leider sehe man keine Möglichkeit, das Script zu realisieren, wobei das nichts mit der Qualität zu tun habe. Wenn ich einen ausreichend frankierten und an mich adressierten Umschlag senden würde, würde man mir mein Drehbuch zurückschicken, sonst würde es vernichtet.
    Und jetzt ein Anruf!
    Ich traf den Produzenten in der Senator-Lounge des Münchner Flughafens. Er war auf dem Weg nach Los Angeles.
    »Was soll ich mit so einer gequirlten Kacke?!« begrüßte er mich.
    Ich wollte schon beleidigt abrauschen, als er sagte, das Buch hätte Potenzial, aber ich sollte mir überlegen, ob ich die Außerirdischen brauche. Sei verdammt teuer, so etwas zu produzieren. »Schwul« sei auch nicht so günstig, wenn man eine Freigabe ab 6 Jahren anstrebt. Wenn man aber nicht die ganze Familie ins Kino bekäme, brauche man gar nicht erst anzufangen. Auch Berlin sollte ich vergessen, Berlin sei »totgefilmt«.
    Sein Flug wurde aufgerufen. Er klopfte mir auf die Schulter, während ich ihn zum Gate begleitete, und versprach, meine neue Fassung zu lesen, wenn ich sie ihm schicken würde.
    Als ich in der Flughafen-Station auf die S-Bahn wartete, überlegte ich, ob es nicht das Beste wäre, mich vor den einfahrenden Zug zu werfen. In diesem Moment hatte ich eine Idee: Wie wäre es mit einem schwulen Polizisten? Den gab es damals noch nicht im deutschen Fernsehen. Und wieder profitierte ich von der Privatisierung, die ich so heftig kritisierte: Während ich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern mit meinem schwulen Cop auf Ablehnung stieß, gingen bei den gerade gegründeten privaten TV-Sendern die Türen für mich weit auf. Ich war wieder in der für mich so typischen
schizoiden Situation, dass ich für die dunkle Seite der Macht arbeitete, die ich eigentlich bekämpfen wollte. Deshalb redete ich mir ein, ich wäre ein schreibender Odysseus und meine Filme wären Trojanische Pferde, mit denen ich meine kritischen Inhalte in das Werberahmen-Programm rollen würde. Ein Trugschluss. Es war genau umgekehrt, und ich tröstete mich mit den fetten Schecks, die ich als Schweigegeld betrachtete, bis ich irgendwann begriff, dass es Schmerzensgeld war.
    Aber auch in dieser oberflächlichen Welt zwischen Dschungelcamp und Deutschland sucht den Superstar holte mich mein anstehender 50. Geburtstag ein. Bisher konnte ich mich durch coole Sprüche und mein reflexhaft antiautoritäres Auftreten jünger machen, als ich bin. Aber beim letzten Projekt erwischte es mich.
    Jahrelang hatte ich mein Geschlecht verleugnet und machte, wie von den Sendern gefordert, »frauen-affines« Programm. Männer kamen nach der Übernahme der Sender durch die Feministinnen nur noch als abwesende Väter, Vergewaltiger oder Weicheier vor. Und ich lieferte, was verlangt wurde. Ich war zu einem Frauenversteher geworden. Trotzdem war die Redakteurin – sie war kaum älter als Nina – der Meinung, meinem Drehbuch würde »irgendetwas fehlen«. Sie sagte mir nicht offen ins Gesicht, ich sei zu alt, aber es gab plötzlich eine Eigenschaft in unserer alternden Gesellschaft, die immer wichtiger wurde: Jugendlichkeit. Also ließ ich mir einen Dreitagebart stehen, trug meine Hemden über der Hose und benutzte Worte wie krass und geil, um mein wahres Alter zu verbergen. Es half alles nichts. Man feuerte mich aus meinem eigenen Projekt und ersetzte mich durch eine junge Kollegin, die mein Drehbuch einem Anti-Aging-Programm unterzog, weshalb ich mir den fertigen Film nicht anschauen wollte, als er direkt nach der Tagesschau lief.
    Stattdessen ging ich mit Martina zum Italiener, um ihr meine Affäre mit Dorata zu beichten, die ich inzwischen beendet hatte. Aber dazu kam es nicht. Wir waren bei der Vorspeise,
als Nina aufgeregt anrief: »Wir gucken gerade
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher