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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Autoren: Georg Heinzen
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Grab herabgesenkt, wobei mir das trockene Geräusch der Erde, die wir der Reihe nach mit einer Schaufel auf den Sargdeckel prasseln ließen, klarmachte, dass dieser Abschied endgültig war. Beates Schwester bat uns, noch mit auf einen Kaffee zu kommen. Sie hatte einen Raum in einer Gaststätte in der Nähe des Friedhofs gemietet, wo nach anfänglichem betroffenem Schweigen schon bald die ersten Anekdoten die Runde machten. Beates Leben war bereits Geschichte.
     
    Als die Gaststätte schloss und wir ratlos auf der Straße standen, schlug ich vor, wir könnten zusammen noch was trinken gehen und in meinen 50. Geburtstag hineinfeiern. Ich wies Ingrids Fahrer an, der die ganze Zeit geduldig im Auto gewartet hatte, uns nach Schwabing zu bringen.
    Aber der Türsteher des No Future ließ uns nicht passieren. »Oldie Night immer montags!«
    Und jetzt? Warum gingen wir nicht in die Kneipe nebenan, wo Heidi ihren 50. Geburtstag gefeiert hatte? Hier störte
sich niemand an unserem Alter, hier waren wir Mainstream. Eine Band spielte A Whiter Shade of Pale , vier Männer mit schütterem Haar und Bierbäuchen, die über die Gürtel ihrer Jeans quollen. Ingrid forderte mich zum Tanzen auf. Ich zögerte – durfte man das denn, tanzen, wo wir gerade Beate beerdigt hatten?
    »Regel Nummer fünf: Lebe!« antwortete Ingrid und zog mich vor die Bühne, wo Michael und Susanne Klammerblues tanzten, als seien sie festgewachsen. Der Drummer der Band kannte Michael und fragte, ob er für ein paar Songs einsteigen wollte. Also übernahm Michael die Gitarre, während Andreas Susanne übernahm. Michael redete kurz mit den Musikern, dann spielte er den Riff von Staying alive und begann zu singen:
    »Whether you’re a brother or whether you’re a mother
    You’re staying alive, staying alive
    Feel the city breaking and everybody shaking
    And we’re staying alive, staying alive …«
    Ingrid zog ihre Prada-Jacke aus und schleuderte sie herum wie ein Torero. Andreas stampfte ein Loch ins Parkett, während Susanne 31 Jahre Kurt abschüttelte. Ich vergaß, dass ich eigentlich nicht tanzen kann, und machte den Moonwalk, zumindest versuchte ich es.
    »Ah ha ha ha staying alive, staying alive
    Ah ha ha ha staying alive …«
    Wir reckten unsere Arme in die Höhe und sangen den Refrain mit, weshalb ich einen Moment brauchte, bis ich begriff, dass der Vibrationsalarm meines Handys losgegangen war. Wer konnte das sein. David? Nina? Martina?
    Es war mein Handy-Provider, der mir per SMS zum 50. Geburtstag gratulierte und hoffte, es ginge mir gut.
    Mir geht es gut! tippte ich in mein Handy und schaltete es aus, während Michael den nächsten Song ansagte.
    »Aber vorher, Ladies and Gentlemen, möchte ich Ihnen einen guten Freund vorstellen. Kommst du mal auf die Bühne, Tommy?!«

    Scheiße! dachte ich und suchte den Ausgang, aber Susanne und Ingrid begriffen, was ich vorhatte, packten mich unter den Armen und eskortierten mich zur Bühne, wo die Musiker mich hochzogen.
    »Das ist Tommy! Er wird 50 Jahre alt, obwohl er gar nicht so aussieht.«
    Alles johlte und pfiff, als ob das die beste Nachricht aller Zeiten wäre, während die Meute zu zählen begann: »Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins …«
    Während Applaus aufbrandete, checkte ich kurz die wichtigsten Funktionen: Alle Systeme waren weiter aktiv. Erleichtert wollte ich endlich die Bühne verlassen, aber Michael hielt mich fest und erklärte, der nächste Song sei für mich. Dann legte er einen Arm um meine Schulter, hielt mir das Mikrofon hin und forderte mich auf mitzusingen.
    Scheiß drauf, sagte ich mir, man wird nur einmal 50! Ich beugte mich zu dem Mikro vor und sang zusammen mit Michael den Song, von dem ich mir geschworen hatte, dass er nie über meine Lippen käme, und wenn ich 100 Jahre alt würde: »Smoke on the water and fire in the sky …«

Danksagung
    Kein Buch entsteht ohne Hilfe, so auch dieses nicht: Die Initialzündung kam von Jenny Köhler, die nach der Lektüre von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden fragte, warum ich keine Fortsetzung schreiben würde. Meine Literaturagentin Silke Frink stellte das Konzept Thomas Schmitz, Programmleiter beim Gütersloher Verlagshaus, vor, der sofort anbiss, obwohl er Metal-Fan ist. Dass ich das Manuskript in Mumbai schreiben konnte, verdanke ich Regina Wyrwoll und Dagmar Fretter von der Kunststiftung NRW. Marla Stukenberg vom Goethe-Institut in Mumbai und Jayashree Joshi haben dafür gesorgt, dass ich in der
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