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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert
Autoren: Amy Plum
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in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, damit ich die Schmerztabletten nehmen konnte, die mir der Arzt mitgegeben hatte.
    Tut es sehr weh?, hörte ich Vincent in meinem Kopf fragen.
    »Nein, nicht so sehr«, log ich.
    Jules trat nach mir durch die Schwingtüren und sah in seiner zerschlissenen Hose und dem engen T-Shirt schon wieder sehr viel mehr wie er selbst aus. In dem Lächeln, das er mir schenkte, lagen sowohl Zärtlichkeit als auch Respekt. »Hausbesprechung«, sagte er. »Jean-Baptiste möchte, dass du dabei bist.«
    »Ehrlich?«, fragte ich überrascht. Jules nickte und reichte mir ein sauberes T-Shirt. »Ich hab mir gedacht, du möchtest vielleicht etwas präsentabler aussehen«, sagte er mit einem Blick auf meine blutgetränkten Klamotten. Er drehte mir den Rücken zu, während ich mich schnell umzog und dann mein zerfleddertes Oberteil in den Müll steckte.
    Zusammen gingen wir durch den Korridor und die Eingangshalle, bis wir einen gigantischen Raum mit so hohen Decken betraten, dass die Fenster über zwei Stockwerke reichten. Der Geruch von altem Leder und welkenden Rosen hing schwer in der Luft. Eine Ansammlung von Ledercouches und -sesseln gruppierte sich am hinteren Ende um einen monumentalen offenen Kamin herum.
    Ein großes Feuer brannte darin, ganz in der Nähe räkelte sich Charlotte auf einem Sofa und Ambrose lag ausgestreckt auf einem Perserteppich vor der Feuerstelle. Er hatte sich umgezogen und trug ein sauberes T-Shirt und Jeans. Obwohl seine Wunden versorgt worden waren und man kein Blut mehr sehen konnte, trug er genug Verbände, um als Mumie durchzugehen. Er sah, wie ich ihn anstarrte und sagte: »Keine Sorge, Katie-Lou, noch ein paar Wochen bis zur Ruhezeit, danach bin ich so gut wie neu.«
    Ich nickte und gab mir die größte Mühe, beruhigt und nicht mehr so erschrocken auszusehen.
    »Da seid ihr ja«, sagte Jean-Baptiste, der mit einem Schürhaken vor dem Feuer auf und ab schritt. »Wir wollten nicht ohne Vincent und dich anfangen«, fügte er hinzu und bedeutete mir mit einem Blick, in welchen Sessel ich mich setzen sollte.
    »Wir müssen ein paar Entscheidungen treffen und dazu muss ich wissen, was passiert ist. Und zwar ausführlich von jedem Einzelnen von euch. Ich fange an.« Er lehnte den Schürhaken an den Kamin und verschränkte die Arme hinterm Rücken. So sah er haargenau aus wie ein General bei der Nachbesprechung mit seinen Truppen.
    Nach ihm gaben Charlotte, Ambrose und Jules je ihre Version der Ereignisse wieder. Zum Schluss »übersetzte« Jean-Baptiste, was Vincent erlebt hatte. Sie hatten mit Vincents Hilfe Charles Leiche finden können, bevor sie von einem kleinen Heer der Numa in den Katakomben eingekesselt wurden. Einem Heer ohne Anführer. Um zu begreifen, was los war, reichte der Kommentar eines ihrer Geiselnehmer: Lucien hatte ihnen verboten, auch nur einen Revenant zu töten, bevor er nicht mit »dem Kopf« zurückkehrte. Weil er davon ausging, dass es sich um seinen Kopf handelte, hatte sich Vincent in Windeseile auf den Rückweg begeben. Die anderen nutzten das Zögern der Numa zu ihrem Vorteil und konnten sich ihren Weg in die Freiheit erkämpfen, um Vincent zu Hilfe zu eilen.
    »Es wirkt nicht so, als wäre uns jemand von ihnen gefolgt«, schloss Jean-Baptiste. »Kate«, er wandte sich übertrieben deutlich an mich, »würdest du bitte nun deinen Teil der Geschichte wiedergeben?«
    Ich erzählte, was passiert war. Angefangen bei der SMS von meiner Schwester bis zu dem Moment, in dem Vincent auftauchte und meinen Körper übernahm.
    »Unmöglich!«, entfuhr es Jean-Baptiste.
    Ich fügte ironisch hinzu: »Stimmt ja, ich hab ganz allein einem riesengroßen Numa mit einem anderthalb Meter langen Schwert den Kopf abgeschlagen!«
    »Nein, nein, es ist nicht unmöglich, dass er Besitz von dir ergriffen hat. Aber es ist unmöglich, dass du das völlig unbeschadet überstanden hast.« Jean-Baptiste war einen Moment lang still, dann nickte er. »Wenn du das sagst, Vincent. Ich begreife nur nicht, wie ein Mensch das durchstehen kann, ohne dabei zu Schaden zu kommen. Und Kate wirkt gerade nicht so, als hätte ihr Verstand darunter gelitten. Außer ein paar unbestätigten alten Berichten gibt es keinen belegten Fall.« Wieder sagte er nichts und hörte zu. »Nur weil du mit ihr kommunizieren kannst, während du volant bist, bedeutet das nicht, dass auch alles andere möglich ist. Geschweige denn, dass es sicher ist«, sagte Jean-Baptiste ziemlich ungehalten.
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