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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert
Autoren: Amy Plum
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war, dass sie mich genau so tröstete, wie meine Mutter mich immer getröstet hatte.
    Als Georgia nach Hause kam, hörte ich, wie Mamie ihr von meiner »Nahtoderfahrung« erzählte. Meine Tür öffnete sich kurz darauf und meine Schwester stürmte herein, ihr Gesicht weiß wie die Wand. Sie setzte sich stumm an mein Bett und starrte mich mit aufgerissenen Augen an.
    »Mach dir keine Sorgen, Georgia. Ich hab nur eine Schürfwunde.«
    »Mein Gott, Katie-Bean, wenn dir was passiert wäre ... Du bist doch alles, was ich noch habe. Merk dir das.«
    »Mir geht’s gut. Und mir wird schon nichts passieren. Ich halte mich künftig von Häusern fern, die auseinanderfallen. Versprochen.«
    Sie rang sich ein Lächeln ab und nahm meine Hand, doch der gehetzte Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb.
    Am nächsten Tag verbot Mamie mir, das Haus zu verlassen und bestand darauf, dass ich mich ausruhte und mich »von meinen Verletzungen erholte«. Ich gehorchte, um sie bei Laune zu halten, und verbrachte den halben Tag lesend in der Badewanne, wobei ich das verletzte Bein über den Wannenrand baumeln ließ. Erst als ich im warmen Wasser saß und mich in dem Buch verlieren wollte, überwältigten mich meine Gefühle und ich fing an zu zittern wie Espenlaub. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mich der Beinaheunfall erschreckt hatte, bis ich zum wiederholten Male siedend heißes Wasser nachlaufen ließ, um mich zu beruhigen. Schließlich schlief ich in den kleinen Dampfschwaden, die aufstiegen, ein.
    Als ich am nächsten Tag an dem Café vorbeikam, war es geschlossen und der Bürgersteig um das gesamte Gebäude herum mit rotweißem Polizeiabsperrband gesichert. Arbeiter in blauen Overalls errichteten ein Gerüst, damit Handwerker die Fassade ausbessern konnten. Ich musste mir gezwungenermaßen ein neues Café suchen, um unter freiem Himmel meine Bücher lesen zu können. Enttäuschung durchfuhr mich, als mir bewusst wurde, dass dies der einzige Ort war, an dem ich überhaupt die Chance hatte, demjenigen zu begegnen, von dem ich neuerdings wie besessen war. Wer wusste schon, wie lange ich warten musste, bis ich Vincent Wiedersehen würde?
    Meine Mutter hatte mich schon in Museen mitgenommen, als ich noch ganz klein war. Wenn wir in Paris waren, zogen Mama, Mamie und ich frühmorgens los, um uns »eine kleine Portion Schönheit zu genehmigen«, wie meine Mutter es nannte. Georgia, die sich schon beim ersten Gemälde langweilte, blieb lieber bei meinem Vater und Großvater, die ihre Zeit in Cafés verbrachten und mit Freunden, Geschäftspartnern und jedem anderen, der vorbeikam, plauderten. Wir drei, Mamie, Mama und ich, durchkämmten alle Museen und Galerien von Paris.
    Deshalb war es keine große Überraschung, dass Georgia mich mit einem »Schon andere Pläne!« abspeiste, als ich sie ein paar Tage später fragte, ob sie mich in ein Museum begleiten wolle. »Ständig beklagst du dich, dass ich nie was mit dir unternehme, Georgia. Das war mal ein ernst gemeinter Vorschlag.«
    »Ja, ungefähr so ernst gemeint, als würde ich dich zu einem Monster-Truck-Rennen einladen. Frag mich gern wieder, wenn du etwas vorhast, das wirklich interessant ist.« Um ihren guten Willen zu unterstreichen, drückte sie freundschaftlich meinen Arm, bevor sie mir ihre Zimmertür fast ins Gesicht fallen ließ. Touché.
    Ich machte mich allein auf den Weg ins Marais, einen Stadtteil am anderen Ende von Paris. Ich folgte den winzigen mittelalterlichen Straßen, die sich zwischen den Häusern hindurchschlängelten, bis ich endlich mein Ziel erreicht hatte: das palastähnliche Gebäude, in dem sich das Musée Picasso befand.
    Abgesehen von der Welt, in die mich Bücher entführen konnten, verlor ich mich fast genauso gern in den stillen Weiten eines Museums. Mama hatte immer gesagt, ich wäre im Grunde meines Herzens ein Wirklichkeitsflüchtling ... dass mir erdachte Welten lieber wären als die echte. Es stimmte, schon von Kindesbeinen an konnte ich mich aus dieser Welt zurückziehen und in eine andere eintauchen. Und nun war ich reif für eine entspannende Dosis Kunsthypnose.
    Als ich durch den gewaltigen Eingang die sterilen weißen Räume des Musée Picasso betrat, spürte ich, wie mein Herzschlag sich verlangsamte. Die Wärme und Ruhe dieses Ortes umgab mich wie eine weiche Decke. Wie gewöhnlich streifte ich herum, bis ein Gemälde meine Aufmerksamkeit auf sich zog, und dann ließ ich mich auf der Bank davor nieder.
    Meine Haut saugte die Farben in sich
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