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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert
Autoren: Amy Plum
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immer an dem Tisch in der hinteren Ecke, den ich mittlerweile zu meinem persönlichen Platz erkoren hatte, und war auf den letzten Seiten eines weiteren Wharton-Romans von der Lektüreliste angelangt (mein zukünftiger Englischlehrer war offensichtlich ein großer Fan von ihm), als mir zwei Jugendliche am anderen Ende der Terrasse auffielen. Das Mädchen hatte kurze blonde Haare und ein schüchternes Lachen. Die vertraute Art, mit der sie sich zu dem Jungen lehnte, der neben ihr saß, deutete darauf hin, dass sie ein Paar waren. Doch als ich meinen prüfenden Blick über ihn gleiten ließ, erkannte ich eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden, obwohl sein Haar rotblond war. Und auf einmal war ich mir sicher, dass die beiden Geschwister waren.
    Plötzlich hob das Mädchen eine Hand, unterbrach damit ihren Bruder und sah sich auf der Terrasse um, als würde sie jemanden suchen. Ihr Blick blieb an mir hängen. Einen Augenblick zögerte sie, dann winkte sie mich energisch zu sich. Ich zeigte mit fragendem Ausdruck auf mich. Sie nickte und gestikulierte heftig.
    Ich stand auf, machte ein paar zögerliche Schritte in ihre Richtung und fragte mich, was sie wohl von mir wollte. Sie wirkte sehr beunruhigt und bedeutete mir, mich zu beeilen.
    Kaum dass ich meine kleine, sichere Ecke verlassen hatte und um den Tisch getreten war, hörte ich ein lautes Krachen hinter mir und flog der Länge nach auf den Boden. Mein Knie brannte und als ich meinen Kopf hob, sah ich Blut auf dem Boden.
    »Mon Dieu!«, schrie einer der Kellner und bahnte sich einen Weg über die umgestürzten Tische und Stühle, um mir aufzuhelfen. Vor lauter Schock und Schmerz standen mir Tränen in den Augen.
    Er zog ein Tuch aus seiner Schürze und tupfte damit das Blut von meinem Gesicht. »Da ist nur eine kleine Platzwunde an Ihrer Schläfe, machen Sie sich keine Sorgen.« Ich warf einen Blick auf mein brennendes Bein. Meine Jeans war aufgeschlitzt und mein komplettes Knie aufgeschürft.
    Als ich überprüfte, ob ich noch weitere Verletzungen hatte, bemerkte ich, dass es auf der Terrasse totenstill geworden war. Doch statt auf mir, ruhten die Blicke der erschrockenen Cafébesucher auf irgendetwas hinter mir.
    Der Kellner hatte aufgehört, meine Schläfe abzutupfen, um über meine Schulter zu schauen, und seine Augen weiteten sich vor Schreck. Ich folgte seinem Blick und sah, dass sich ein riesiger Brocken aus der mit Verzierungen überzogenen Fassade gelöst und meinen Tisch zerstört hatte. Meine Handtasche lag daneben, aber meine Ausgabe von Das Haus der Freude war von der Spitze des gewaltigen Brockens durchbohrt worden, genau da, wo ich gesessen hatte.
    Wenn ich nicht aufgestanden wäre, dann wäre ich jetzt tot, dachte ich. Mein Herz schlug so schnell, dass mir der ganze Brustkorb wehtat. Schnell sah ich zu dem Tisch, an dem die Geschwister gesessen hatten. Außer einer Flasche Perrier und zwei vollen Gläsern, die inmitten von Kleingeld standen, war er leer. Meine Retter waren verschwunden.

 
    I ch war so aufgewühlt, dass ich erst mal dort bleiben musste. Nachdem die Mitarbeiter des Cafés ihren halben Erste-Hilfe-Kasten an mir verbraucht hatten, bestand ich darauf, allein nach Hause zu gehen und schwankte los, meine Beine weich wie Gummibänder. Mamie trat gerade aus dem Haus, als ich ankam.
    »Oh, meine kleine Katya«, kreischte sie, nachdem ich ihr erzählt hatte, was passiert war. Sie ließ ihre Hermes-Tasche auf den Boden fallen, um mich fest in die Arme zu nehmen. Dann hob sie unsere Sachen auf und brachte mich ins Haus. Sie steckte mich ins Bett und behandelte mich wie eine Querschnittsgelähmte — dabei hatte ihre Enkelin doch nur ein paar Schürfwunden abbekommen.
    »Bist du dir ganz sicher, dass du bequem liegst, Katya? Ich kann dir noch mehr Kissen bringen, wenn du möchtest.«
    »Mamie, das ist wirklich nicht nötig.«
    »Tut dein Knie weh? Ich könnte noch eine andere Salbe holen. Und vielleicht solltest du das Bein hochlegen.«
    »Mamie, die Leute vom Café haben mich mit allem Möglichen aus ihrem Erste-Hilfe-Kasten verarztet. Ist doch nur ein Kratzer.«
    »Oh, meine kleine Maus. Wenn ich mir vorstelle, was alles hätte passieren können.« Sie drückte meinen Kopf an ihre Brust und streichelte über meine Haare, bis sich etwas in mir löste und ich anfing zu weinen.
    Mamie summte tröstend und hielt mich fest, während ich heulte. »Ich weine nur, weil ich einen Schock habe«, beteuerte ich durch meine Tränen, aber die Wahrheit
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