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Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen
Autoren: Delilah S. Dawson
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knallte mit der Stirn gegen etwas Hartes.
    »Die Decke ist ziemlich niedrig«, meinte er trocken, als ich zurückfiel. »Etwas Besseres kann ich mir nicht leisten. Das hier ist nicht der Eispalast.«
    Meine Augen gewöhnten sich an das Dämmerlicht, und es gelang mir, mich auf einen Ellbogen zu rollen. Er saß auf der anderen Seite des kleinen Zimmers – eigentlich eher ein größerer Wandschrank – auf einem Stuhl und zog gerade ein Paar glänzender kniehoher Stiefel mit silbernen Schuhkappen an. Eigentlich wollte ich etwas Abfälliges erwidern, aber er war einfach zu interessant. Der ungepflegte, unbekümmerte, betrunkene Taugenichts von vorhin hatte sich in eine attraktive Kreatur, einen regelrechten Dandy, verwandelt. Enge Wildlederhosen, ein gerüschtes Hemd mit federleichten Schichten aus Spitze und ein edelsteinbesetzter Mantel, der im Dämmerlicht glitzerte. Sein Haar fiel ihm in glänzenden Wellen über die Schultern. Er erinnerte mich an Mutters Lieblings-Hauspinkie, ausstaffiert für eine Parade, wenngleich da etwas vage Bedrohliches an ihm war. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, seine Körperhaltung, sein Duft oder sein wölfisches Grinsen – aber unter der Oberfläche von Casper Sterling lauerte etwas Gefährliches.
    »Zeit für meinen Auftritt.« Er stand auf und betrachtete sein Erscheinungsbild prüfend in einem Spiegel, der an der Wand hing. »Du musst genau da bleiben, wo du bist. Ich habe mir ein paar alte Flugblätter angesehen, und jeder, der nicht allzu betrunken ist, würde dich in Sekundenschnelle erkennen. Also denke schon mal darüber nach, was du tun kannst, um das zu ändern – angefangen bei deinem Haar.«
    Meine bloße Hand fuhr an die langen, weißblonden Locken, die sich über die Seite des Bettes kräuselten. Du meine Güte, hatte er die Nadeln herausgezogen, während ich schlief? Der Gedanke an diese langgliedrigen Finger in meinem Haar empörte mich. Und er erwartete allen Ernstes von mir, dass ich das änderte, was mir am besten an mir gefiel? Die eisblauen Augen meiner moskovitischen Herkunft konnte ich nicht ändern, also war mein Haar die einzige logische Wahl. Und dann wurden mir erst die Konsequenzen dessen, was er gesagt hatte, klar.
    »Warum sollte ich mich verkleiden?« Ich straffte die Schultern und schob das Kinn vor, meiner undamenhaften Position zum Trotz. »Ich bin die Prinzessin. Bald werde ich Zarina sein. Sobald die Obrigkeit von meinem Aufenthaltsort Kenntnis erlangt, wird man mich in den Eispalast zurückbringen. Du könntest sogar eine Belohnung für deine Mühe erhalten.«
    Bevor wir dich ausbluten und dein Herz auf Toast essen , fügte ich im Stillen hinzu.
    »Wir sind hier nicht in Frostland. Und Frostland ist nicht mehr, was es noch vor vier Jahren war. Dort gibt es Bürgerunruhen und Gerüchte über eine Revolte gegen das brutale Regiment des Bludadels. Auf deinen Kopf ist ein hoher Preis ausgesetzt, und falls du es tatsächlich lebend bis nach Hause zurück schaffen solltest, würde Ravenna dich töten lassen. Falls das Volk dich noch immer will, weiß es nichts davon. Alle sind vollkommen ihrer Macht unterworfen. Fasziniert oder schikaniert oder nur mit Propaganda abgefüttert. Vielleicht auch alles zusammen.«
    »Du lügst.« Jedes meiner Worte troff vor Eiseskälte.
    »Warum sollte ich lügen? Wir sind hier in London, und ich bin ein abgehalfterter Musiker, der in einer drittklassigen Bludbar Melodien für Kupferlinge klimpert. Ich bin ein tanzender Affe. Wenn ich dir wehtun wollte, dann hätte ich dich den Coppers übergeben, als du noch schliefst, und die Belohnung eingestrichen.« Er band seine Krawatte und ließ das Grinsen mit den Grübchen aufblitzen. »Es liegt bei eintausend Silberlingen, weißt du. Man hält dich zwar für tot – aber irgendjemand ist sich nicht ganz sicher.«
    Äußerlich blähten sich meine Nasenflügel vor Zorn. Doch innerlich zerbrach ich, und die Risse zogen sich durch mich hindurch wie durch einen Gletscher, der im Begriff war, in die bodenlose Tiefe zu stürzen. Wenn er die Wahrheit sagte, dann waren meine Eltern tot, und der wunderschöne Palast, in dem ich ein geborgenes Leben geführt hatte, war über tausend Meilen entfernt und nicht mehr sicher für mich. Das Meer, die Berge, die Wildnis der Tundra, all das stand zwischen mir und meinem Zuhause. Nur die Erkenntnis, dass jemand meinen Tod wollte, stellte das noch in den Schatten. Und es fehlte nicht viel, dass dieser Jemand seinen Willen bekommen
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