Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen
Autoren: Delilah S. Dawson
Vom Netzwerk:
abgenutzten Dielen zu schleppen. Ich war eine Prinzessin, aber in diesem Moment hätte ich liebend gern das Blut inmitten winziger Glassplitter von dem schmutzigen Boden aufgeleckt. Doch ich konnte mich nicht bewegen, nicht einen Zentimeter. Alle Ausbildung und Erziehung, alles Jagen auf der Welt hatten mich nicht auf eine derartige, absolute Hilflosigkeit vorbereitet.
    »Warte«, keuchte ich, und meine schwarzen Hände kratzten über die Bodenbretter. Bei dem Geräusch meiner langen weißen Krallen, die nutzlos über das Holz schrammten, zuckte ich zusammen. Er musste recht haben, nur eine Ausblutung konnte mich so tief sinken lassen, dass ich wimmerte wie ein Kätzchen. Und voll Verzweiflung bettelte.
    »Hmm?« Er drehte sich um, um mich noch einmal mit diesen verhassten Grübchen anzugrinsen.
    »Lass uns verhandeln.«
    »Ich wusste, dass du mir zustimmen würdest.« Er kam wieder zurück und holte noch eine Phiole aus seiner Hemdtasche. Dann ließ er sich im Schneidersitz auf dem Boden wieder, gerade außerhalb meiner Reichweite, und fing an, auch diese durch seine Finger wandern zu lassen. Das Gefühl, das ich dabei verspürte, erinnerte mich an eine Wolfshündin, die einst meinem Vater gehört hatte, an die Art, wie sie unter ihrem juwelenbesetzten Halsband schluckte, wenn mein Vater sie zwang, einen Knochen auf ihrer Schnauze zu balancieren, bis er ihr das Zeichen gab, dass sie ihn fressen durfte. Ich musste auch schlucken.
    »Zuerst einmal, wer bist du wirklich? «, fragte er.
    Ich schloss die Augen und kämpfte darum, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Ich hatte noch nie gebettelt, und noch nie hatte ich mich in einer Position befunden, in der ich nicht über absolute Macht verfügte. Und ganz eindeutig war ich noch nie so hilflos gewesen, zu nackten Füßen eines Pinkies, eines Knechtes, eines armseligen Menschlings. Meine Hände ballten sich zu Fäusten in den eisblauen Taft meines Kleides, und meine Krallen zerrissen die Rüschen und gruben sich schmerzhaft in meine Handflächen.
    »Ich bin Prinzessin Ahnastasia Feodor. Meine Mutter ist die Bludzarina von Frostland, und wir residieren im Eispalast zu Moskovia.«
    Bei der Erwähnung meines Namens zeigte sich eine Reihe eigenartiger Emotionen auf seinem Gesicht, von Erkennen zu Verstehen, bis hin zu etwas, das wie Mitleid aussah.
    »Dann habe ich schlechte Neuigkeiten, Prinzessin. Ich lese regelmäßig Zeitung. Du wurdest vor vier Jahren für tot erklärt. Es heißt, man habe dich entführt und deine Asche in deinem gravierten Phiolenkästchen in den Palast zurückgeschickt.«
    Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich mich noch schwächer und benommener fühlen könnte, als es ohnehin schon der Fall war, aber Angst und Wut versetzten meinen kaum noch atmenden Körper in Aufruhr. Ich, entführt und ausgeblutet? Ich stellte mir meine Eltern vor, in ihren Händen das goldene Kästchen, das sie mir an meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt hatten, als Behältnis für Phiolen mit Blut, das nur den hochwertigsten Dienern mit dem besten Stammbaum entnommen wurde. Ich versuchte mir vorzustellen, wie das majestätische Gesicht meiner Mutter wohl bei meiner Bestattungszeremonie ausgesehen haben mochte, ob ihre sorgfältig einstudierte Maske wohl zerbrochen war, während meine angebliche Asche im Wind eines Schneesturms davonwehte. Ob sie geweint hatte? Wusste sie überhaupt, wie das ging?
    Ich schluckte schwer. Meine Kehle fühlte sich an wie ein Reibeisen. »Das kann nicht sein.«
    Er neigte den Kopf und musterte mich blinzelnd von oben bis unten. Ich war es gewohnt, in den Augen eines Bludmannes Ehrfurcht, Angst und höfliche Bewunderung zu sehen. Aber noch nie hatte ein Mensch mir so schamlos ins Gesicht gesehen, mit einem Blick, der bis in meine Seele zu reichen schien und das, was er dort sah, in Frage stellte. Doch genau das tat dieser Mann. Und der Ausdruck, der daraufhin auf seinem Gesicht erschien, zeigte unwillkommenes Mitgefühl. Sein prüfender Blick ließ mich zurückweichen.
    »Du siehst wie die Abbildung auf den Flugblättern aus, auch wenn die Zeichnungen dich etwas jünger zeigen. Wenn du ausgeblutet wurdest und jahrelang in diesem Koffer versteckt warst, könntest du es sein, denke ich. Wenn du wirklich Prinzessin Ahnastasia bist, dann wird deine Schwester ebenfalls vermisst, und dein Bruder kränkelt.« Er senkte den Blick und spielte wieder mit der Blutphiole herum, und meine Augen folgten ihm. »Ich weiß nicht, wie ich dir das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher