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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst
Autoren: Amy Plum
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Mienenspiel auf dem Gesicht meiner Großmutter: Mitleid, Unschlüssigkeit und zuletzt Verärgerung. Doch dann fiel ihr Blick auf mein verquollenes, tränenüberströmtes Gesicht und ihre Wut verpuffte.
    »Ach Katya, wie sage ich das bloß«, seufzte sie. »Selbst wenn Vincent zu den Guten gehört, ist das trotzdem so, als würdest du mit Superman zusammen sein. Wer wünscht seiner Enkelin das Schicksal einer Lois Lane, die ständig von den Feinden ihres Freundes bedroht wird? Ich kann mir nicht helfen, aber ich wünschte, du wärst in einen gewöhnlichen Jungen verliebt. In einen netten, ungefährlichen Schüler vielleicht.« Mit einem Seitenblick zu Georgia fügte sie hinzu: »Selbst mit dem Mitglied einer Rockband könnte ich mich eher arrangieren.« Plötzlich fand meine Schwester ihre Fingernägel ungeheuerlich interessant.
    Nachdem meine Großmutter mich einmal fest an sich gedrückt hatte, stand sie langsam auf und ging zur Tür. Im Rahmen hielt sie noch einmal inne und drehte sich zu uns um. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schloss für einen Moment die Augen, als wollte sie alles, was sie in der letzten halben Stunde gehört hatte, aus ihrem Gedächtnis löschen. Nachdem sie sie wieder geöffnet hatte und Georgia und mich auf dem Bett sitzen sah, seufzte sie.
    »Zunächst einmal werde ich morgen früh der Schule Bescheid geben, dass ihr nicht erscheinen werdet. Dann habt ihr einen Tag Zeit, das Geschehene zu verarbeiten. Und …«, sie warf Georgia einen Blick zu, »… um euch zu erholen.«
    »Außerdem, meine liebe Katya, glaube ich dir deine irre Geschichte, obwohl ich nie in meinem Leben etwas Vergleichbares gehört habe. Auch wenn wir das Ganze nicht befürworten, werden dein Papy und ich so verständnisvoll wie möglich sein. Aber von nun an wird das Thema Vincent hier im Hause offen besprochen. Du sollst nichts mehr vor uns verheimlichen. Wir sind auf deiner Seite und wollen dich dabei unterstützen, kluge und wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen, ganz egal ob es dabei um schlechte Noten oder Untote geht.«
    Beim vorletzten Wort kräuselte sich ihre Nase. Obwohl sie sich größte Mühe gab, sachlich zu bleiben, musste es ihr schwerfallen, das alles auch wirklich auszusprechen. »Einverstanden, Mamie«, versprach ich.
    »Ich bin für dich da, mein Schatz. In dieser Familie ist Trauer kein Fremdwort. Du kannst immer zu mir kommen, wenn du Trost suchst, und dir sicher sein, dass ich Verständnis haben werde.«
    Ich nickte ihr zu. Zufrieden drehte sie sich um und ging. Keine Sekunde später hörten wir, wie ihre Schlafzimmertür geöffnet und mit Wucht ins Schloss gepfeffert wurde. Selbst durch die geschlossene Tür war ihre Stimme zu hören. »Doch, ich sehe sehr wohl, dass du schläfst, Antoine. Aber du kommst besser sehr schnell zu dir, wir müssen uns nämlich dringend unterhalten.«
    Georgia und ich schauten uns an. Trotz aller Tränen musste ich lächeln.
    Ich schlief nicht tief, jedes noch so leise Knarren dieses alten Wohnhauses und jedes einzelne Auto, das die Rue du Bac entlangfuhr, ließen mich hochschrecken. Und wenn ich dann doch mal in einen nostalgiegetränkten Traum zu meinen Eltern nach Brooklyn glitt, lauschte mein Unterbewusstsein fast permanent nach Vincents Stimme. Als ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, gar nicht geschlafen zu haben, dabei zeigte mein Wecker schon elf Uhr. Ich blieb im Bett liegen und starrte an die Decke, unfähig – nein, unwillig – aufzustehen.
    Die Vorkommnisse des gestrigen Tages wirkten so weit weg, als wären sie nicht mir, sondern einem anderen Mädchen zugestoßen. Dabei waren kaum vierundzwanzig Stunden vergangen, seit meine Schwester und ich auf Montmartre Violette gegenübergestanden hatten. Gestern um diese Zeit war uns klar geworden, dass sie an die Spitze der Numa gelangen wollte, um die französischen Revenants zu stürzen, und dazu brauchte sie Vincent.
    Unter Vortäuschung falscher Tatsachen hatte sie ihn auf den »dunklen Weg« gelockt. Vincent war davon ausgegangen, dass er seinem Drang zu sterben besser widerstehen konnte, wenn er nur genug Energie von böswilligen Numa aufnahm, indem er sie tötete. Er hatte das für mich getan. Doch die Prozedur hatte ihn so sehr geschwächt, dass es für Violette ein Leichtes gewesen wäre, ihn zu entführen und zu töten. Und dann war er ihr quasi entgegengekommen. Kopfüber hatte er sich in unseren Kampf und in seinen Tod gestürzt. Zwar war der Tod an sich für Vincent ja nur
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