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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst
Autoren: Amy Plum
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zusehen, wie die Menge wächst, frage ich Gaspard: »Wie lange wart ihr zusammen?«
    »Einhundertneunundvierzig Jahre«, sagt er.
    »Es tut mir so leid«, flüstere ich. Mehr kann ich nicht sagen. Ich kann ja schlecht behaupten, dass ich genau weiß, was in ihm vorgeht. Das wäre gelogen. Ich weiß, wie es ist, seine Eltern zu verlieren, zur Waise zu werden. Aber ich kann mich nicht in die Lage dieses Mannes versetzen, der seinen Lebensgefährten verloren hat, den er anderthalb Jahrhunderte geliebt hat. All diese Jahre voller gemeinsamer Erlebnisse, gemeinsamer Siege und Niederlagen. Es muss ihn umbringen. Da er an mir lehnt, spüre ich, wie ein Schauer ihn durchfährt. Es bringt ihn tatsächlich um.
    »Kate, Gaspard«, höre ich Vincent rufen, weshalb wir zu den um das Feuer versammelten Bardia stoßen. Acht der elf New Yorker Bardia sind darunter, einer wurde bereits mit dem Krankenwagen abtransportiert, die anderen beiden hatten wir an die Flammen verloren. Charles steht bei Uta und vier weiteren deutschen Bardia. Drei ihrer Kumpel sind unterwegs nach La Maison und werden in drei Tagen völlig einwandfrei aufwachen. Einer ist für immer fort. Von den drei Dutzend anderen Bardia fielen sechs dem Feuer zum Opfer.
    In der Luft liegt der widerliche Geruch von verbrennendem Fleisch. Viele der Umstehenden halten sich Mund und Nase zu, den Blick auf Vincent gerichtet, der mit dem Rücken zu den Flammen vor uns steht.
    »Es dauert nicht mehr lange, bis die Sonne aufgeht. Ich möchte, dass sich bei Einbruch der Dämmerung keiner unserer Anverwandten mehr hier im Park befindet und nichts mehr auf die Schlacht hindeutet, die hier stattgefunden hat. Aber bevor wir die letzten Spuren beseitigen, lasst uns denen die letzte Ehre erweisen, die sich heute für uns geopfert haben.«
    Er schaut mir in die Augen und ich sehe, wie er mit den Tränen kämpft. Er gibt sich große Mühe, stark zu sein, bis er seine Aufgabe hier draußen erst mal erfüllt hat. »Aus unseren eigenen Reihen«, fährt er fort, »haben wir unsere geliebte Geneviève Emmanuelle Lorieux verloren. Sie starb 1943, hingerichtet, da sie für die Häftlinge Lebens- und Arzneimittel ins Sammellager Drancy geschmuggelt hat. Geneviève war die passionierte und liebevolle Ehefrau von Philippe Lorieux, der vor nicht ganz vier Monaten selbst verstarb. Du wirst uns schmerzlich fehlen, Geneviève.«
    Vincent macht eine Geste zu Gaspard, der daraufhin zu ihm tritt. »Wir verabschieden uns heute von unserem langjährigen Oberhaupt Jean-Baptiste Alexandre Balthazar Grimod de la Reynière«, sagt Gaspard mit zitternder Stimme. »Er starb am 7.   September 1812 auf dem Schlachtfeld in Borodino, wo er sein Leben für einen anderen Soldaten gab. Jean-Baptiste hat stets für den Erhalt unserer Anverwandten gekämpft und alles getan, um unser Überleben zu sichern.« Gaspards Kinn bebt, während er spricht, doch er bemüht sich um seine Fassung, nimmt die Schultern zurück und den Kopf hoch.
    Dann löst er etwas von seinem Gürtel. Es ist Jean-Baptistes geliebter Gehstock mit der verborgenen Klinge, der Knauf ist zum Kopf eines Falken geschnitzt. Ans Feuer gewendet sagt Gaspard: »Mein geliebter Jean-Baptiste. Ich werde um dich trauern, bis wir im nächsten Leben wieder vereint sind.« Dann wirft er den Stock ins Feuer. Am Ende dieser Bewegung sackt er in sich zusammen, lässt Kopf, Arme und Schultern hängen und beginnt wieder zu weinen.
    Sofort ist Arthur bei ihm. Er legt Gaspard den Arm um die Schultern und führt ihn aus der Arena zu den wartenden Fahrzeugen.
    Ein Anführer nach dem anderen steht auf, tritt ans Feuer und erweist seinen verlorenen Anverwandten die letzte Ehre. Am Ende dieser traurigen Zeremonie richtet sich Vincent noch einmal an alle Anwesenden. »Wir danken euch von ganzem Herzen für euer Erscheinen und euren Einsatz und versprechen euch feierlich unsere Unterstützung.« Dann löst sich die Menge allmählich auf. Ein Mann mittleren Alters kommt auf mich zu. Er zeigt ein ähnlich aristokratisches Gebaren wie Jean-Baptiste. Er tritt zu mir und küsst mir die Wangen. »Ich bin Pierre-Marie Lambert aus Bordeaux. Es war mir eine Ehre, an der Seite der Meisterin zu kämpfen.«
    Ich stelle ihm die Frage, die mir im Kopf herumspukt, seit er und seine Anverwandten hier aufgetaucht sind. »Woher wusstet ihr, dass ihr hier gebraucht werdet? Ihr seid genau rechtzeitig gekommen.«
    Er schenkt mir ein trauriges Lächeln. »Ich bedauere, aber wir sind leider sogar ein
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