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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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StGB – Stand 2009

    Auch die Verteilung der Erstdiagnosen veränderte sich in den letzten 20 Jahren. Gegenüber einer Stichtagerhebung von 1992 waren 2009 statistisch signifikant häufiger Straftäter mit einer schizophrenen Erkrankung im Maßnahmenvollzug untergebracht. Im Vergleich dazu wurden Patientinnen und Patienten mit intellektuellen Einschränkungen und hirnorganischen Störungen prozentuell seltener eingewiesen. Bei affektiven Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und Störungen durch Substanzmissbrauch fanden sich keine signifikanten Veränderungen.
    Veränderung der Prävalenz des diagnostischen Spektrums (Erstdiagnosen in Prozent) im Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 StGB zwischen 1992 und 2007

    Es veränderte sich allerdings nicht nur das Spektrum der Erkrankungen, auch bei den Einweisungsdelikten ergab sich ein bemerkenswerter Wandel. Während die Zahl der Einweisungen aufgrund schwerer und schwerster Delikte wie Körperverletzung und Tötungsdelikten, aber auch Eigentums- und Sexualdelikten sowie Brandstiftung von 1990 bis 2007 relativ stabil blieb, stiegen die Einweisungen wegen gefährlicher Drohung und Nötigung kontinuierlich an.
    Jährliche Inzidenz der Einweisungen nach § 21/1 StGB, Österreich, 1990–2007: sämtliche Delikte

3. SCHIZOPHRENIE UND DELINQUENZ
    Entgegen der in den 1970er-Jahren vorherrschenden Überzeugung, dass psychisch kranke Menschen nicht gefährlicher sind als die gesunde Allgemeinbevölkerung, fanden spätere Studien einen Zusammenhang zwischen Schizophrenie und vor allem schwerer Gewaltdelinquenz. Doch wie viele schizophrene Menschen werden in Österreich tatsächlich aufgrund ihrer Krankheit heraus straffällig? Wie groß ist nun die Gefahr, die von diesen Kranken ausgeht? 2009 befanden sich 282 schuldunfähige Straftäter mit der Diagnose einer Schizophrenie im Maßnahmenvollzug. Etwa drei Prozent der Insassen normaler Justizanstalten leiden unter einer Schizophrenie, die entweder vor der Verhandlung nicht erkannt wurde oder erst im Gefängnis ausgebrochen ist.
    Bedauerlicherweise gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Schizophrene in Österreich leben. Wenn man aber die in den meisten Untersuchungen gefundenen Zahlen – rund 0,6 bis 1 Prozent der Bevölkerung – auf österreichische Verhältnisse überträgt und zur Vereinfachung annimmt, dass im Schnitt ein Prozent erkranken, so heißt das, dass unter ungefähr 6,5 Millionen erwachsenen Menschen in Österreich rund 65.000 Schizophrene zu finden wären. Das bedeutet, eine relativ kleine Gruppe dieser Menschen ist überhaupt so delinquent – also: straffällig – geworden, dass sie in den Maßnahmenvollzug gekommen ist. Bei den grob geschätzten 65.000 Schizophreniekranken sind vielleicht 500 bis 1000 Personen vom Umgang her bedenklich, weil bei ihnen ein hohes Aggressionspotenzial vorhanden ist. Zwar ist auch in Österreich wie in allen anderen Ländern die Wahrscheinlichkeit, dass schizophrene Menschen Gewaltdelikte begehen, höher als bei Menschen mit Depressionen oder Gesunden, aber da ihre Zahl relativ gering ist, ist die Wahrscheinlichkeit, von einem gesunden Menschen verletzt oder getötet zu werden, wesentlich höher als von einem schizophrenen.
    Für die Forensische Psychiatrie gibt es durchaus eine „klassische Klientel“. Diese kann an ein paar prädisponierenden Faktoren – teilweise sozialer Natur, teilweise haben sie auch mit der Erkrankung zu tun – festgemacht werden. Bei den sozialen Faktoren wissen wir, dass eine Herkunft aus der Unterschicht mit einer höheren Bereitschaft, körperliche Gewalt einzusetzen, verbunden ist. Dieser Umstand ist unabhängig davon, ob die betreffende Person gesund oder krank ist. Heimaufenthalte stellen auch eine Prädisposition dar: Dabei ist allerdings unklar, in welche Richtung die Kausalität geht. Kinder, die „schwierig“ sind, finden sich häufiger in Heimen wieder; aber umgekehrt werden „schwierige Kinder“ durch den Aufenthalt in Heimen auch nicht einfacher.
    Von großer Bedeutung sind zerbrochene oder chaotische Familiensysteme. Dysfunktionale Familien stellen einen wichtigen Faktor dar, ob jemand straffällig wird oder nicht. Ebenfalls zentral sind Verhaltensmuster, die von straffälligen Familienmitgliedern übernommen werden. Ein bedeutsamer Punkt ist, dass delinquente Schizophrene deutlich häufiger Substanzen missbrauchen als nicht straffällige Schizophrene, vor allem Alkohol. Alkohol ist, was Straffälligkeit betrifft, ein wichtiger
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