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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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Bedeutung. Es gibt allerdings junge Erwachsene, die aus dem Schema der Gewalt auch deshalb nicht herauskommen, weil sie sich an diese Art der Konfliktlösung gewöhnt haben. Andere wiederum sind durch Drogen und Alkohol so abgebaut, dass sie immer wieder straffällig werden. Dazu kommen noch jene, die meist nicht die klassischen Gruppendelikte begehen, aber psychopathologisch auffällig und meist Einzeltäter sind. Dem überwiegenden Teil dieser Jugendlichen gelingt es, sich von den aggressiven Verhaltensmustern zu distanzieren und sich durch stabile Beziehungen und über den Beruf in die Gesellschaft zu integrieren. Mit zunehmendem Alter nehmen Beziehungsdelikte – meistens Eifersuchtsdelikte – an Häufigkeit zu.
    Betrachtet man nun jene Straftaten, die psychotisch motiviert sind, so ist ein Gutteil von ihnen als Verteidigungsdelikte zu bewerten. Zumindest erleben die Patienten das so. Die Taten sind meist stark emotional besetzt. Das heißt, wenn sich jemand aus einem Verfolgungswahn heraus bedroht fühlt, ist es aus seiner Sicht nachvollziehbar, dass er sich in irgendeiner Form zur Wehr setzt. Das Pathologische daran ist, dass dem Erleben des Kranken kein reales Bedrohungsszenario entspricht. Es findet sich zumeist eine typische Affektkonstellation: Die wahnhafte Bedrohung ist affektiv sehr stark besetzt, der Betroffene ist zumeist ängstlich-aggressiv. Alle Alltagsangelegenheiten sind demgegenüber gefühlsmäßig belanglos.
    Bei schizophrenen Tätern sind es sehr häufig Angehörige und Partner, die zu Opfern werden. Mit ihnen kann es natürlich im Vorfeld reale Konflikte gegeben haben. Trotzdem: Der Angehörige wird in ein Wahnsystem eingebaut. Er ist „zu Handen“ und aufgrund eventuell früherer realer Konflikte wird er „bevorzugt“.

4. WAHNMOTIVIERTE TÖTUNGEN UND MORDVERSUCHE
    Morde sind jene Taten von Schizophreniekranken, bei denen die psychotische Symptomatik die Hauptrolle spielt. Bei leichteren Delikten dagegen können, wie wir später sehen werden, durchaus andere Faktoren – etwa Drogenmissbrauch und Alkoholeinfluss – bedeutsam sein. Unter „psychotischer Symptomatik“ sind, wie bereits erwähnt, Wahn, Halluzinationen, Beeinflussungserlebnisse und wahnhafte Personenverkennungen zu verstehen.
    Allerdings bringt nicht jeder Wahn einen Menschen gleich dazu, dass er tötet. Der Wahn muss üblicherweise eine bestimmte Gestaltung haben, damit daraus eine Gefährlichkeit resultieren kann (aber nicht muss). Meist findet sich retrospektiv ein sogenannter systematisierter Wahn, also ein Wahn, der schon längere Zeit besteht und inhaltlich ausdifferenziert und in sich geschlossen ist. Es handelt sich daher nicht um flüchtige Wahnideen, sondern um ein Bündel von Überzeugungen, die sich gegenseitig stabilisieren. Inhaltlich handelt es sich häufig um einen Wahn, in dem sich der Betroffene in seiner Umwelt vital bedroht fühlt. Wenn z. B. die Eltern feindselig schauen, kann sich irgendwann die Gewissheit verfestigen, dass ausgerechnet die einem am nächsten Stehenden diejenigen sind, die einen umbringen wollen. Oder der Betroffene wähnt sich von der Mafia verfolgt, unter Umständen auch, wie der erste geschilderte Fall zeigen wird, von harmlosen Zeitungskolporteuren. So entsteht Schritt für Schritt eine Situation, in der sich der Betroffene immer weiter in die Enge getrieben fühlt.
    Gleichzeitig kann der Kranke seine Wirklichkeit nicht mehr selbst überprüfen. Ein „Reality check“ ist im Wahn nicht möglich, denn der Wahn zeichnet sich nach Jaspers durch seine subjektive Gewissheit und Unkorrigierbarkeit aus. Selbst intelligente Menschen können diesem Zustand nicht mehr entkommen. Verstärkt wird er durch den Umstand, dass der Kranke sich immer mehr vor der Umwelt verschließt, somit keine äußere Instanz mehr vorhanden ist, welche korrigierend eingreifen könnte. Hier haben wir das Phänomen vor uns, das Eugen Bleuler als schizophrenen Autismus bezeichnet hat.
    Dennoch führen auch systematisierte Wahnformen nicht immer und automatisch zu Gewalttaten. Wenn man sich in unseren Breiten als zivilisierter Mensch bedroht fühlt, ist es naheliegend, bei der Polizei Hilfe zu suchen. Und tatsächlich, viele unserer Patienten haben diesen logischen Schritt unternommen. Wer sich vom Nachbarn verfolgt fühlt, hat im Grunde zwei Möglichkeiten: die Polizei rufen oder den Nachbarn darauf ansprechen. Die zweite Vorgangsweise führt in manchen Fällen direkt ins Delikt. Beide Lösungsvarianten sind
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