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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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regelmäßig eine gutachterliche Überprüfung der Zurechnungsfähigkeit angeordnet. Anlage und Einrichtung des Narrenturms, ursprünglich als wegweisende psychiatrische Einrichtung angesehen, waren relativ bald der Kritik ausgesetzt, sodass bereits Anfang des 19. Jahrhunderts „nur mehr Tobsüchtige, [...] Gefährliche, Unreine, Unheilbare und zur Flucht Neigende“ dort untergebracht waren (Hausner 1998). Der Narrenturm wurde schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund der nicht mehr tragbaren Verhältnisse, wohl aber auch aufgrund des entstandenen Platzmangels – eine Folge der im Laufe des 19. Jahrhunderts rasch wachsenden Bevölkerung Wiens – geschlossen und durch die wesentlich größere Anstalt auf dem Bründlfelde ersetzt. 1870 erfolgte die Gründung der Ersten, bereits 1875 die Gründung der Zweiten Psychiatrischen Klinik, deren Leitung u.a. berühmte Nervenärzte wie Theodor Meynert, Maximilian Leidesdorff und der für die Entwicklung der Forensischen Psychiatrie bedeutungsvolle Richard von Krafft-Ebing innehatten.
    Parallel zum Aufbau psychiatrischer Institutionen in Wien seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hatte neben rechtsphilosophischen Anschauungen die deutsche Transzendentalphilosophie – und hier vor allem Kant und Hegel – einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Strafrechtswissenschaften gewonnen. Besonders der Hegelianismus betonte die Freiheit im Sinne der Wahlmöglichkeit zwischen Gut und Böse. Die Zurechnungsfähigkeit wurde als der Zustand, in welchen man wollen könne, definiert. Diese Haltung stieß allerdings sowohl in Deutschland wie auch in Österreich auf Widerstände der Ärzteschaft. 1845 etwa schlug Wilhelm Griesinger vor, bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit besser vom Begriff der Besonnenheit als von jenem der Freiheit auszugehen. In die gleiche Richtung zielte Krafft-Ebing in seinem 1892 erschienenen Lehrbuch
Gerichtliche Psychopathologie
. In diesem meinte er: „Nicht Zurechnungsunfähigkeit noch Willensfreiheit, sondern die Feststellung der Geistesgesundheit oder Krankheit ist die eigentliche Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen.“ Das Buch Krafft-Ebings war eines der ersten grundlegenden forensisch-psychiatrischen Werke und zugleich auch der Ausdruck einer sich verändernden Sicht auf psychisch kranke Rechtsbrecher.
    1885 forderte der Oberste Sanitätsrat der Kronländer erstmals die Schaffung einer eigenen Anstalt für „verbrecherische Geisteskranke“; diese Forderung wurde bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts mehrfach – so z. B. von Julius Wagner-Jauregg – wiederholt, sollte jedoch erst ein Jahrhundert später Realität werden. Diese Verzögerung ist durch die österreichische Geschichte und die politischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert erklärbar: Nach dem Ersten Weltkrieg blieb von der Donaumonarchie nur ein kleines Kernland mit schwerwiegenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Konflikten. Nur wenige Jahre später war dieses Land durch den Zweiten Weltkrieg zerstört und die Reputation der Psychiatrie durch den Umstand der aktiven Betätigung von Teilen der Ärzteschaft an den Gräueln des Naziregimes erheblich beeinträchtigt.
    Bis zur ersten Hälfte der 1970er-Jahre beschränkte sich das Aufgabengebiet eines Forensischen Psychiaters in Österreich nahezu ausschließlich auf die Verfassung von straf- und zivilrechtlichen Gutachten. Zurechnungsunfähige Straftäter wurden auf der Grundlage des aus dem Jahr 1852 stammenden Strafrechts exkulpiert und der Allgemeinpsychiatrie überantwortet, wo sie in den zumeist geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser ohne weitere rechtliche Kontrolle behandelt wurden. Erst seit der Strafrechtsreform von 1975 existieren im seither gültigen neuen Strafgesetzbuch (StGB) gesetzliche Sonderregelungen für psychisch kranke, gestörte und substanzabhängige Rechtsbrecher sowie eine besondere, zeitlich begrenzte Art von Sicherungsverwahrung für sogenannte gefährliche Rückfalltäter. Eine weitere Gesetzesänderung betraf die Gültigkeit des Jugendgerichtsgesetzes. 1988 erfolgte eine vorübergehende Anhebung der oberen Altersgrenze vom 18. auf das vollendete 19. Lebensjahr, welche 2001 wieder zurückgenommen wurde. 1998 ersetzte das Suchtmittelgesetz (SMG) das aus dem Jahre 1951 stammende Suchtgiftgesetz (SGG). Das österreichische Strafgesetzbuch sieht besondere Maßnahmen für zurechnungsunfähige (§ 21 Abs. 1 StGB) und zurechnungsfähige (§ 21 Abs. 2 StGB) sogenannte
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