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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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sexuell missbraucht. Er habe sich in der Folge öfters mit dem Mann getroffen, auch als er schon älter gewesen sei. Er wisse zwar, dass sich erwachsene Männer nicht mit Kindern einlassen dürfen, es habe ihm jedoch keine besonderen Probleme bereitet. Seine Verwandten hätten davon nichts gewusst. Auch im weiteren Verlauf der Pubertät habe er regelmäßig homosexuelle Kontakte gehabt. Mit 18 Jahren habe er erstmals kleine Beträge dafür genommen.
    Nach dem Raubversuch 1998 (Schwedenbomben) wurde M. von der Polizei in die Psychiatrieambulanz gebracht. Dort machte er einen völlig desorientierten Eindruck. Er gab an, sich an den Vorfall nicht erinnern zu können. Bereits zu dieser Zeit war der Patient besachwaltet und wurde von der „Lebenshilfe“ betreut. Stefan M. fiel auf der Psychiatrie durch seltsame Bemerkungen auf. So äußerte er den Wunsch nach einem nur mit einer Karte ausgestatteten Zimmer, einmal sprach er von Stimmen. Er schaute oft gegen die Wände und behauptete, dass es im Raum Geister gäbe.
    Von den Monaten nach der Entlassung erzählte eine Betreuerin aus der „Lebenshilfe“, dass der Patient im letzten halben Jahr vor dem Delikt äußerst schwierig gewesen sei. Er habe in den nächsten Monaten immer wieder das Wohnhaus verlassen, sei von der Polizei zurückgebracht worden. Er sei zeitweise auf den Strich gegangen, habe manchmal bei seiner Rückkehr in der Nacht versucht, das Schloss der Wohnungstür aufzubrechen. Immer wieder sei er ganze Tage weg gewesen und in verschmutztem Zustand von der Polizei zurückgebracht worden. Terminvereinbarungen mit dem Arzt habe er nicht eingehalten, seine Medikamente nicht regelmäßig eingenommen. Im August 1998 sei er während eines Spaziergangs auf die Straße gesprungen, ohne auf den Verkehr zu achten. Er sei in ein Lokal gelaufen und habe die Wirtin gebeten, die Polizei zu verständigen, da der Betreuer ihn sexuell belästigt habe. Als die Polizei gekommen sei, sei er geflüchtet.
    Es folgten weitere stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie. Ende 1999 wurde er wieder aufgenommen, da die Betreuung des Patienten in der „Lebenshilfe“ nicht mehr durchführbar war. Dazu heißt es im Protokoll, dass Stefan M. seit Längerem ein komplett unkontrolliertes Verhalten zeige, das im Straßenverkehr in den letzten Tagen zu einer akuten Gefährdung geführt habe. Er sei immer wieder raptusartig einfach weggelaufen. In den letzten Wochen habe er die Medikation nur mehr unregelmäßig eingenommen. Wenn er beim Verlassen der Wohnung von Betreuern gehindert worden sei, habe er zwanghaft monoton gegen die Türe oder gegen eine Mauer geklopft und sich dabei auch Schürfwunden an den Fingergelenken zugezogen. Die Körperpflege sei vollständig vernachlässigt worden, auch das Essen habe rationiert werden müssen, da er sonst zwanghaft wie eine Maschine dieses in sich hineingestopft und häufig erbrochen habe.
    Der forensisch-psychiatrische Gutachter kam zur Erkenntnis, dass seit 1996 eine allmählich zunehmende massive Persönlichkeitsveränderung vorliegt: Vermehrt traten auch psychotische Veränderungen in Form von Halluzinationen in Erscheinung, dazu gesellten sich Abbauerscheinungen. Diagnostisch liegt eine Hebephrenie vor. In diesem Zusammenhang sei eine Zurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der strafbaren Handlungen nicht gegeben gewesen. Da eine ausreichende Beaufsichtigung durch die „Lebenshilfe“ aufgrund der Entwicklung nicht möglich sei, seien die Voraussetzungen des § 21/1 StGB gegeben. Die Stefan M. angelasteten Delikte (Raubversuche) seien als Ausdruck einer fortschreitenden Verflachung der moralischen Gefühle zu werten.
    Bei hebephrenen Patienten wie Stefan M. steht insgesamt der Abbau der moralischen Gefühle im Vordergrund. An seinem Tun sieht man deutlich, dass er keine Probleme darin sieht, sich das Eigentum anderer anzueignen. Außerdem ist ein deutliches Empathiedefizit erkennbar: Stefan M. weiß einfach nicht, was es für das Opfer bedeutet, wenn es beraubt wird. Dieser Bewusstseinszustand wird auch als „Pseudopsychopathie“ bezeichnet. Für die gesamte Gruppe der Hebephrenen gilt, dass hier primär die Negativsymptomatik zu den Delikten führt. Es kommt zu Verhaltensweisen, die an die Streiche schlimmer Kinder erinnern. Auffällig ist, dass diese Gruppe von Kranken zwar rasch bereit ist, die Grenzen des anderen zu überschreiten, bei Widerstand jedoch ebenso rasch den Rückzug antritt. Der Unterschied zu den Gewalttaten von Patienten mit
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