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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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regelmäßigen Abständen wurde die Kathedrale
von Kunst entrümpelt und mit einem Satz neuer Kunstgegenstände ausgestattet.
Über die Jahrhunderte hat sich so ein beträchtlicher Schatz angesammelt, der
nun chronologisch geordnet in diesem Museum ausgestellt wird. Besonders
fasziniert bin ich davon, wie sich mit der Zeit die Art der Abbildung des
Menschen verändert hat. Weniger fasziniert bin ich von einem älteren spanischen
Paar, das mir gerade gehörig auf die Nerven geht. Die beiden Nebelhirne
benehmen sich ganz schlimm, einfach erschütternd peinlich. Beinahe jedes
Ausstellungsstück betatschen sie mit ihren Fettfingern, zudem unterhalten sie
sich laut und pausenlos. Sie benehmen sich wie Homer Simpson in der Folge, in
der sich Lisa in den jüdischen Aushilfslehrer Mr. Bergstrom verliebt. Homer,
Lisa und Mr. Bergstrom gehen ins Museum, und während Lisa das Wissen von Mr.
Bergstrom bewundert, benimmt sich Homer unentwegt wie ein Idiot, so dass Lisa
beginnt, sich für ihren Vater zu schämen. Zwar schäme ich mich nicht für die
beiden Spanier, mit ihnen verbindet mich ja auch glücklicherweise nichts,
allerdings gebe ich ihnen deutlich zu verstehen, was ich von ihrem würdelosen
Gehabe halte. Nix.
    Mich stört aber noch etwas
anderes. Galicien möchte sich vermarkten, mehr turistas in die Region
locken, der Welt seine faszinierende Geschichte präsentieren. Aber sämtliche
Erläuterungen auf den Schildern sind in spanischer Sprache gehalten. Man muss
schon ein Castellano-Experte sein, um die zahlreichen Fachbegriffe zu
verstehen. Aus Werbersicht sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn mir solche
gravierenden Marketingfehler auffallen. Wer sich der Welt präsentieren möchte,
muss den Zugang zu sich und seiner Kultur erleichtern. Schließlich können nicht
alle Menschen auf der Welt alle existierenden Sprachen erlernen, beim besten
Willen, es geht einfach nicht.
    Vom Museum aus kann man den
Kreuzgang betreten und die berühmten Türme mal von der Rückseite aus bestaunen.
Und, welch Überraschung, sie sind strahlend hell, im Sonnenlicht nahezu weiß.
Früher muss die gesamte Kathedrale elfenbeinfarben aus dem Dächermeer geragt
haben. Eine wunderbare Vorstellung. Hoffentlich putzen sie das Ding mal, wie
die Kathedrale von Burgos oder das Brandenburger Tor. In den letztgenannten
Fällen hat es sich jedenfalls gelohnt. Nebenbei bemerkt sollte jedes Haus
heutzutage einen Kreuzgang besitzen, einen ruhigen Ort zum Nachdenken und
Herumgehen, ohne über irgendwelche Couchtische zu stolpern.
    Nach dem ausführlichen Rundgang
treten wir auf den Kathedralvorplatz, wo wir uns telefonisch mit Lyn verabredet
haben. Plötzlich höre ich ein hysterisches Gekreische. Die Ursache des
Aufruhrs: Avril hat soeben eine weitere Pilgerbekanntschaft wiedergetroffen.
Anni ist etwas älter als ich und etwas jünger als Avril, wie Lyn Berlinerin und
willig, sich uns anzuschließen. Kurz darauf entdecken wir Lyn, und wir
beschließen, den Nachmittag zu viert zu verbringen. Zielstrebig betreten wir
das Luxushotel »Parador de Santiago de Compostela«, laufen einmal hindurch bis
zum Restaurant und setzen uns draußen an einen Tisch. Noch heute bekommen
täglich jeweils zehn Pilger Frühstück, Mittag- und Abendessen gratis serviert,
falls sie eine Compostela vorweisen können, die nicht älter als drei Tage ist.
Wir aber haben nicht vor zu betteln, ich persönlich finde es sogar etwas
lächerlich, sich als Wohlstandskind für kostenloses Essen anzustellen.
Einerseits finde ich es recht charmant, an solchen Traditionen festzuhalten,
andererseits sollte man sich schon fragen, ob man pilgert, um am Ende ein
kostenloses Luxusmahl abzustauben.
    Sowieso gefällt mir der ganze
Prunk nicht, diese Maßlosigkeit was soll denn das? Und die Flachpfeifen, die
hier arbeiten, sind allesamt heiße Kandidaten für den
Baywatch-Zeitlupen-Gedächtnis-Award. Leider werden wir von dem Topfavoriten auf
den Sieg bedient.
    »Aber«, merkt Avril an, »jetzt
können wir sagen: Wir waren im >Parador< in Santiago de Compostela!«
    Das finde ich natürlich
großartig. Noch großartiger fände ich es, würde die Limo nicht über vier Euro
kosten.
    Abends möchte Avril noch zur
Pilgerstunde in die Kathedrale. Währenddessen wird das Gotteshaus für Besucher
geschlossen, und die Pilger können in aller Ruhe ihre Erfahrungen austauschen.
Avril ist ein sehr gläubiger Mensch. Sofern möglich, besuchte sie am
Etappenziel den abendlichen Gottesdienst. Sie zieht viel Kraft
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