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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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mich beinahe der Schlag. Das Gelände ist riesig! Wie
um alles in der Welt soll ich bitte in diesem Gewühl eine kleine Lady mit
weißem Hut finden? So gut es geht laufe ich sämtliche Gänge und Ecken ab. Keine
Chance.
    Nach einer kurzen Stärkung in
einer panadería wiederhole ich die gestrige Prozedur. Wie eine Maschine
laufe ich die gesamte Altstadt rauf und runter, setze mich hier fünf Minuten
hin, dort drei Minuten, warte eine Weile auf diesem, eine Weile auf jenem Platz
ab. Nichts. Zwischendurch klappere ich auch noch sämtliche Souvenirshops nach
Geschenken und Mitbringsel für meine Familie und Freunde ab. Für Sebastian habe
ich mir etwas ganz Tolles ausgesucht. Er bekommt von mir einen wirklich
albernen, kitschigen, extrem touristischen Aschenbecher mit Abbildungen von
Santiago, der Muschel sowie der Kathedrale. Das Teil steht für die absurden
Auswüchse der Kommerzialisierung des Camino; mir gefällt, dass man über die
Stillosigkeit dieses Mitbringsels lachen kann und trotzdem bei dessen Anblick
an den Weg denken muss. In den Internetforen beschweren sich ja diverse Ewiggestrige,
der Camino sei überlaufen und alles scheiße, alles Kommerz, Herbergen würden
immer teurer, Pipapo. Aber ihr Lieben, ihr habt leicht reden. Erst einmal muss
man begreifen, dass der Norden Spaniens alles andere als wohlhabend ist.
Sämtliche Tourismusgebiete des Landes liegen im Süden, abgesehen von der
Hauptstadt. Im Norden gibt es genau drei Dinge, die Touristen anlocken: das
Guggenheim-Museum in Bilbao, den Stierlauf in Pamplona und den Jakobsweg. Dann
gilt es die Relationen zu beachten: Im letzten Heiligen Jahr 2004 pilgerten
knapp hundertachtzigtausend Menschen hierher. Zum Vergleich: Das Schloss
Neuschwanstein besuchen jährlich über eine Million Besucher. Völlig egal also,
wie kommerzialisiert der Jakobsweg auch sein mag, so richtig reich wird wohl
kaum jemand. Außer vielleicht der konkurrenzlose Barbesitzer in Hospital.
    Geschlagene drei Stunden
verbringe ich damit, entweder Avril oder passende Geschenke zu suchen. Wollte
Avril nicht heute
    Nachmittag den Bus nach
Fisterra nehmen? Viel Zeit habe ich sicherlich nicht mehr. Ich beschließe, das
Tourismusbüro aufzusuchen. Zum Busbahnhof zu gehen und sie abzufangen wäre
schließlich meine letzte Chance. Im Tourismusbüro erfahre ich, dass der letzte
Bus nach Fisterra um halb vier abfährt. Bleiben mir also noch knapp dreieinhalb
Stunden.
    Ich beschließe, eine kurze
Mittagspause einzulegen, und verlasse die Altstadt. Auf einer westlich
gelegenen Anhöhe, die zum gewaltigen Universitätsgelände der über fünfhundert
Jahre alten Universidad de Santiago de Compostela gehört, lasse ich mich auf
einer Bank nieder und genieße eine empanada con pulpo sowie eine
Restdose San Miguel von gestern Abend. Hinter mir dröhnt ein spanisches
Alternative-Konzert, die Leute toben, die Stimmung passt zum traumhaften
Wetter. Vor mir erstreckt sich die gesamte Altstadt; aus dem Dächermeer ragen
die charakteristischen Türme der Kathedrale heraus.
    Frisch gestärkt stürze ich mich
erneut in das Gassenlabyrinth und setze die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
fort. Nach anderthalb Stunden merke ich, dass ich langsam müde werde. Einmal
noch betrete ich die Kathedrale und durchsuche jeden Winkel. Irgendwann bleibe
ich stehen und beginne zu grübeln. Soll ich wirklich weitersuchen oder mich dem
Schicksal ergeben? Ich schaue auf die Uhr. Noch eine knappe Stunde bis zur
Abfahrtszeit. Wenn ich jetzt aufgebe und nicht zum Busbahnhof laufe, werde ich
es mit Sicherheit bereuen. Also verlasse ich die Kathedrale über das Nordportal
und überlege, welchen Weg ich einschlagen soll: den bekannten nach Osten oder
den unbekannten nach Norden. Momentan tendiere ich permanent dazu, neue Wege
auszuprobieren, nicht nur in läuferischer Hinsicht. Doch diesmal zögere ich.
Obwohl ich den Weg nach Osten schon mindestens siebenmal auf und ab gelaufen
bin, entscheide ich mich für ihn. Reine Intuition. Eine leichte Rechtskurve
später trete ich auf den überschaubaren Praza de Cervantes und traue meinen
Augen nicht: Genau auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes steht eine
kleine Person mit einem weißen Hut! Und einer weißen Handtasche! Schnurstracks
überquere ich den Platz und rufe laut: »Avril!«
    Die Person dreht sich herum,
und — sie ist es! »Maoriiii!«, brüllt sie ohrenbetäubend laut, so dass sich der
ganze Platz nach uns umschaut, und fällt mir kreischend um den Hals.
    Wahnsinn! So
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