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Vom Mondlicht berührt

Titel: Vom Mondlicht berührt
Autoren: Amy Plum
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war.«
    »Bitte sehr.« Vincent gab mir ein Handtuch und einen Kuss auf die Stirn. »Versteh das nicht falsch, ich find dich total scharf, wenn du so verschwitzt bist«, flüsterte er mir mit einem vielsagenden Zwinkern zu. Sofort flatterten Schmetterlinge durch meinen Bauch – scheinbar wollten sie sich dort nun permanent einnisten.
    »Ich erledige derweil für dich diesen lästigen Kampflehrer aus dem neunzehnten Jahrhundert. En garde!«, schrie er, schnappte sich ein Schwert von der Wand und drehte sich um.
    Gaspard erwartete ihn bereits mit einem riesigen Morgenstern in der Hand. »Du brauchst schon mehr als diese mickrige Stahlklinge, um mir einen Kratzer zu verpassen«, scherzte er und lockte Vincent mit zwei Fingern zu sich.
    Nachdem ich mich ausgezogen hatte, schloss ich die Tür der Duschkabine und drehte den Hahn auf. Sofort strömten kräftige Wasserstrahlen aus dem Duschkopf und hüllten mich in warme Dampfschwaden. Alle Schmerzen und Qualen lösten sich unter dem steten Prasseln des heißen Wassers in Nichts auf.
    Unglaublich, schoss es mir zum sicher tausendsten Mal durch den Kopf, als ich über diese Parallelwelt nachdachte, in der ich mich gerade befand. Nur ein paar Häuserblocks entfernt führte ich mit meiner Schwester und meinen Großeltern ein stinknormales Pariser Leben und hier wehrte ich mich mit Schwertern gegen Tote – na ja, gegen »Revenants«, also keine echten Toten. Dies war der einzige Ort, an dem ich mich wirklich wohlfühlte, seit ich nach Paris gezogen war.
    Den Kampfgeräuschen lauschend, war ich die ganze Zeit über in Gedanken bei demjenigen, der mich hierhergeführt hatte: Vincent.
    Ich hatte ihn vergangenen Sommer getroffen. Und war ihm restlos verfallen. Doch nachdem ich erfahren musste, dass er ein Revenant war und wieder und wieder sterben würde, hatte ich ihm den Rücken gekehrt. Ich hatte gerade erst meine Eltern verloren und vor diesem Hintergrund schien es mir wesentlich erträglicher, allein zu bleiben, als ständig an diesen schmerzvollen Verlust erinnert zu werden.
    Dann machte Vincent mir jedoch ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Er versprach mir, nicht zu sterben. Oder zumindest nicht absichtlich. Und das steht in völligem Widerspruch zu seinem Wesen. Ähnlich wie Drogenabhängige verspüren Revenants ein enormes Bedürfnis, Menschen unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu retten – nur dass dieser Drang sogar noch stärker und verlockender ist. Vincent ist allerdings der Meinung, er könne dem Drang widerstehen. Für mich.
    Und ich hoffe, dass er es schafft. Ich möchte ihn wirklich nicht verletzen, aber ich kenne meine Grenzen. Anstatt Mal für Mal mit meiner Trauer fertig werden zu müssen, würde ich ihn eher verlassen. Fortgehen. Das wissen wir beide. Und, obwohl Vincent streng genommen tot ist, erlaube ich mir zu behaupten, dass dies die einzige Lösung ist, mit der wir beide leben können.

 
    I ch geh nach oben«, rief ich.
    »Komme gleich nach«, antwortete Vincent und schielte blitzschnell zu mir Richtung Treppe. Gaspard nutzte die Gelegenheit und schlug ihm das Schwert aus den Händen, das scheppernd über den Boden flog. Vincent hob ergeben die Arme.
    »Lass niemals ...«
    »... deinen Gegner aus den Augen«, beendete Vincent den Satz für Gaspard. »Ich weiß, ich weiß. Aber du musst doch zugeben, dass Kate eine nicht zu verachtende Ablenkung ist.«
    Gaspard grinste schief.
    »Für mich zumindest«, fügte Vincent hinzu.
    »Solange sie dich nicht davon ablenkt, ihr Leben zu retten«, sagte Gaspard. Er schob seinen großen Zeh unter den Griff des am Boden liegenden Schwerts und beförderte es mit einer schnellen Bewegung durch die Luft zu Vincent.
    »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, Gaspard«, erwiderte Vincent amüsiert und pflückte elegant das fliegende Schwert mit der rechten Hand aus der Luft. »Dank deines Unterrichts ist Kate bald imstande, auch meins zu retten.« Er grinste mich an und hob vielsagend eine Augenbraue. Ich lachte.
    »Da stimme ich dir zu«, räumte Gaspard ein, »aber nur, wenn sie deinen Trainingsvorsprung von einem halben Jahrhundert aufholen kann.«
    »Das habe ich fest vor«, rief ich noch vom oberen Treppenabsatz und schloss dann die Tür hinter mir, froh darüber, damit auch das ohrenbetäubende Klirren auszusperren, das erklang, als die beiden ihren Kampf wieder aufnahmen.
    Ich trat durch eine Schwingtür in eine große, geräumige Küche, wo mir der Geruch von frischem Backwerk entgegenschlug.
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