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Vom Mondlicht berührt

Titel: Vom Mondlicht berührt
Autoren: Amy Plum
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wurde zusätzlich durch ihr schwarzes Haar betont, das streng nach hinten gekämmt und mit leuchtend violetten Blumen verziert war. Sie war sehr klein und wirkte zerbrechlich, ganz wie ein Spatz. Und obwohl sie jünger aussah als ich, wusste ich, dass das bei einem Revenant nicht viel hieß.
    Die Bewegungen des Jungen ließen keinen Zweifel zu, dass er eine Erziehung der alten Schule genossen hatte. Er trat an Violettes Seite und bot ihr den Arm, den sie mit den Fingerspitzen berührte. Er war so um die zwanzig. Hätten seine strähnigen blonden Haare nicht in einem strengen Pferdeschwanz gesteckt und wäre er nicht so sauber rasiert gewesen, hätte man ihn glatt für Kurt Cobain halten können. Natürlich mit einer gehörigen Portion blauen Blutes.
    Sie verbeugten sich förmlich vor Jean-Baptiste und wandten sich dann an die anderen Personen im Saal, um den begeisterten Empfang zu würdigen. Der Blick des Mädchens blieb kurz an mir haften und wanderte dann zu Vincent, der hinter mir stand, eine Hand auf meine Taille gelegt. Ihre Augen verengten sich kaum merklich, bevor sie sich weiter unter den Gästen umsah, bis sie einen Bekannten erblickte und vortrat, um sich mit ihm zu unterhalten. Jean-Baptiste folgte ihrem Beispiel und fing ein Gespräch mit der Frau neben sich an.
    Da die Ansprache damit beendet zu sein schien, sah ich mich nach Charlotte um. Vielleicht konnte ich ja herausfinden, wie sie auf die Präsentation ihrer Nachfolger reagierte. Dass sie ausgerechnet bei der Abschiedsfeier der Zwillinge vorgestellt wurden, musste in letzter Sekunde entschieden worden sein.
    Charlotte stand ganz hinten im Saal, Ambrose war bei ihr und hatte ihr seinen Arm um die Schultern gelegt. Ich nahm an, das war nicht nur eine Geste, sondern der körperlich sichtbare Teil seiner moralischen Unterstützung. Auch wenn Charlotte nicht überrascht aussah, musste es sie eine Menge Kraft kosten zu lächeln.
    »Ich geh mal zu Charlotte«, murmelte ich an Vincent gewandt.
    »Gute Idee«, sagte er mit einem besorgten Blick in ihre Richtung. »Ich schaue in der Zwischenzeit mal, wie es Charles geht.« Er lehnte sich zu mir, um meine Schläfe zu küssen, richtete sich dann auf und ging davon.
    Ich machte mich auf den Weg zu Charlotte. »Hast du Lust, ein bisschen frische Luft zu schnappen?«, fragte ich.
    »Sehr gern«, sagte sie und nahm meine Hand, während sie sich aus Ambroses Obhut löste. Und nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie sie wohl im Süden Frankreichs zurechtkommen würde – neun Stunden weit weg von jeder Unterstützung. Ich hielt Charlotte nicht für schwach, im Gegenteil. Sie hatte mir stets eine starke Schulter zum Anlehnen geboten. Doch jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem sie ihre Freunde mehr als alles andere brauchte, wurde sie räumlich von ihnen getrennt.
    Wir holten noch unsere Mäntel, dann traten wir nach draußen in die frische Dezembernacht. Das Mondlicht fiel hell in den gesamten Hof und erleuchtete den marmornen Brunnen mit der lebensgroßen Statue eines Engels, der eine Frau in den Armen hielt. Wie jedes Mal erinnerte mich diese Darstellung an Vincent und mich. Für mich wog der symbolische Gehalt der Statue so schwer wie der Marmor, aus dem sie geschlagen war.
    Charlotte und ich setzten uns auf den Rand des leeren Brunnenbeckens. Eng aneinandergedrängt, versuchten wir, uns gegenseitig zu wärmen. Ich schob meinen Arm unter ihrem hindurch und zog sie nah an mich heran. Dass wir so gute Freundinnen geworden waren, half mir dabei, die Schuldgefühle gegenüber meinen Freunden in New York zu unterdrücken, zu denen ich jeden Kontakt abgebrochen hatte. Während der dunkelsten Zeit nach dem Tod meiner Eltern hatte ich meine E-Mail-Adresse gelöscht und seither nichts mehr von mir hören lassen.
    »Hast du gewusst, dass eure ...« Ich zögerte, um nach einem Wort zu suchen, das weniger verletzend klang als »Nachfolger«. »... dass Violette und Arthur heute ankommen?«
    Charlotte nickte. »Jean-Baptiste hat’s mir gestern erzählt. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er uns so schnell wie möglich ersetzen wollte. Aber Violette hat ihre Hilfe angeboten und er braucht sie. Trotzdem trifft mich das irgendwie. Ich fühle mich so unerwünscht. So als würde ich bestraft werden.«
    »Selbst wenn es sich wie eine Strafe anfühlt, wobei Jean-Baptiste ja ausdrücklich daraufhingewiesen hat, dass ihr es nicht als Strafe missverstehen sollt, darfst du eins nicht vergessen: Ihr zieht ja nicht deinetwegen um,
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