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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Kolenda
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von Herrn Linde hörte. Wie war die Fahrt?«
    Aha, das
gefiel mir weniger, ich bat ihn ins Haus, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Sorgfältig
schloss ich die Tür, wies auf einen Stuhl und überlegte, ob vielleicht irgendeine
Gans einen tödlichen Herzschlag erlitten hatte, als Ben ausgelassen die Wiesen durchforstete.
Nein, bestimmt nicht. Wovor hatte ich eigentlich Angst? Ärgerlich sah ich Inspektor
Kowalski an. »Es ist wirklich nichts passiert. Der Hund ist Vegetarier, er sieht
nur so mordgierig aus.«
    »Falsch,
ich bin nicht wegen dem Hund hier. Gestern Nachmittag ereignete sich ein Autounfall
auf der Hauptstraße kurz vor Jelenia Góra. Wir suchen Zeugen.«
    »Ach so.
Ja, wir waren tatsächlich unterwegs. Möchten Sie vielleicht Kaffee oder Kuchen?«
    »Gerne.
Beides. Ist Ihnen auf der Strecke etwas aufgefallen?«
    »Zwei betrunkene
Fahrradfahrer. Einer auf der Straße vor dem Dorf und ein anderer später. Und noch
etwas, eine rasende Bäuerin.«
    Der Inspektor
war ein erfahrener Beamter, er schaffte es, zu kauen und gleichzeitig streng amtlich
auszusehen. »Ich meine etwas Ungewöhnliches, Frau Lem.«
    »Nichts.
Fragen Sie am besten Herrn Schöne, ihm entgeht nichts. Das behauptet er zumindest.«
    »Wo hält
sich Herr Schöne augenblicklich auf?«
    »In seinem
Zimmer. Er schläft.«
    Der Inspektor
sah auf die Wanduhr. »Um diese Zeit? Na ja, ich vergesse manchmal, dass deutsche
Touristen, ich meine allgemein Touristen, dass, wie gesagt, Deutsche im Urlaub nicht
arbeiten.«
    Verdutzt
sah ich ihn an. »Wie meinen Sie das?«
    »Vergessen
Sie es.« Er trank seinen Kaffee aus und erhob sich. »Richten Sie ihm aus, dass ich
ihn sprechen möchte. Privat natürlich.«
     
    Der Inspektor ging weg, und Ben
kam ans Fenster. Seinen Kopf legte er auf das Fensterbrett, seufzte und schnaubte
so lange, bis er mich zu einem Spaziergang überredet hatte. Durch den hinteren Garten
gelangten wir in den Wald und streunten den schattigen Hang hinunter zum Dorfeingang.
In unerträglicher Hitze machten wir uns dann auf den steilen Weg zurück in die Pension.
Die Dorfstraße zog sich neben einer tiefen Schlucht entlang, die mit ausgeschlachteten
Kühlschränken und zerschellten Kleinmöbeln gefüllt war. Ben ließ seine Zunge raushängen
und hechelte.
    »Angeber«,
sagte ich. »Mir ist genauso warm wie dir. Ich habe bloß keinen Schaum vor dem Maul.«
    Doggen sind
verdammte Egozentriker. Ich blieb also vor einem zerfallenen Bauernhof stehen und
rief in Richtung einer sperrangelweit geöffneten Scheunentür. »Ist da jemand?«
    Aus der
in der Hitze grau-flimmernden Dunkelheit der Scheune löste sich ein Schatten. Eine
alte Frau, gestützt auf eine altersschwache Ziege, kam heraus. »Was wollen Sie?«
    »Wasser
für meinem Hund.«
    »Ziegenkäse
kann ich Ihnen verkaufen. Reines Naturprodukt.«
    »Nur Wasser,
bitte!«
    »Ich bin
kein öffentlicher Wasserhahn.«
    Damit hatte
die alte Frau natürlich recht. Ich kaufte ein Pfund Käse und bekam ungefähr zwei
Liter Wasser in einer sauberen Schüssel umsonst dazu. Beide tranken wir davon, ich
zuerst. Ben schlürfte den Rest aus und wir gingen fort.
    Je höher
wir die Straße hinaufstiegen, desto schöner und größer wurden die Häuser und desto
gastfreundlicher ihre Bewohner. Als ich vor einer prächtigen Villa stehen blieb,
kam mir überraschend ein Mann mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Willkommen, willkommen!«,
rief er. »Neu eröffnet. Alle Zimmer mit Doppelbett, Sauna, jeden Abend Gesellschaftsspiele
für einsame Herzen. Blinde Kuh, Canasta, Poker und mehr. Nichts muss, alles kann.«
    Hoch und
heilig versprach ich, bei Gelegenheit vorbeizukommen. Mit zwei ähnlichen Einladungen
kehrte ich in die Pension zurück.
    An meiner
Zimmertür klebte ein Zettel. ›Ich gehe das Haus von Gerhart Hauptmann besichtigen.
Mit den berühmten Fresken von Avenarius.‹
    In meinem
Kopf klingelte es, nicht sehr laut, aber hörbar. War dieses Haus nicht die berühmteste
Sehenswürdigkeit des Dorfes? Die Wirtin musste es wissen, ich fand sie in der Küche.
Mit dem Rücken zu mir stand sie am Fenster und wiederholte: »Nein, nein, zum letzten
Mal nein! Ich habe nichts mehr übrig für einen Versager wie dich.«
    Unterm Fenster
raschelte es.
    Ich räusperte
mich. »Entschuldigung, ich will mich nicht in Ihr Selbstgespräch einmischen. Nur
eine Frage: Wo liegt das Haus von Gerhart Hauptmann?«
    Mit einem
Ruck wandte sie sich vom Fenster ab, knallte einen Topf auf die Kochplatte, bis
die Kartoffeln wie
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