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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Kolenda
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Lem, alle Geschichten müssen ein glückliches
Ende haben.«
     
    Nachdem er gegangen war, schlug
ich mein Notizbuch auf und überlegte die weiteren Schritte. Klares und logisches
Denken war schon immer meine Stärke. Als ich zehn Minuten später meine Notizen überprüfte,
sah ich eine Menge Strichmännchen, die einen Kreis um ein dickes Herz bildeten.
Es war kein besonders ausgeklügeltes Konzept. Stattdessen hatte ich den endgültigen
Beweis, dass die Scheidung mich völlig aus der Bahn geworfen hatte. Zumindest vorübergehend.
Der Vorfall im Supermarkt sollte mir eine Warnung sein. Meine ganze Wohnung roch
nach Käse. Schuld daran war ein gut aussehender Verkäufer, der mich bei den Worten
›Darf es noch etwas sein?‹ so charmant ansah, dass ich Frischkäse, Hartkäse, Schimmelkäse
und Schmelzkäse in rauen Mengen einkaufte. So ein geistiger Schwächeanfall könnte
sich jederzeit wiederholen. Selbstverständlich wusste ich, dass alles fließt: panta
rhei. Kummer wird vergehen, Glück wird kommen. So wird es zumindest in vielen Filmen
gezeigt. Ich schaute mir diese erbärmlichen Liebesschnulzen nicht an. Keine intelligente
Frau sollte sich so was antun. Es sei denn, so ein Tränendrüsendrücker lief an einem
Abend, wenn man sich einsam, verlassen und ungeliebt fühlte. Oder es sogar war.
Da halfen nur: Eine große Schüssel voll Eis mit Sahne und ein Liebesfilm mit gutem
Ende. Wenn ich nicht schleunigst etwas unternahm, standen mir noch viele solche
Abende bevor. Und bis eine neue Liebe meine Eskapaden an der Käsetheke und in der
Eistruhe beendete, würde ich meine Kleidung in einem Fachgeschäft für monumentale
Damenmode kaufen müssen.
    Ich riss
die Seite mit den verliebten Strichmännchen aus und konzentrierte mich auf meinen
Auftrag. Wohin sollte meine Reise gehen? Wo in der polnischen Landschaft sprossen
die Blumen der romantischen Liebe besonders üppig?
    Da fiel
mir Niederschlesien ein. Und Jan Linde, meine Jugendliebe aus der Zeit in Polen,
als die Regale in Lebensmittelläden und die Versprechungen der sozialistischen Regierung
gleichermaßen leer waren. Dafür hatten wir damals ein sehr freies und unbeschwertes
Liebesleben geführt. Nicht immer, aber oft genug.
    Kurz entschlossen
stöberte ich in der Schreibtischschublade auf der Suche nach dem Brief von meiner
früheren Klassenkameradin Krystyna. Jahrelang hatten wir keinen Kontakt, was mir
sehr angenehm war. Unerwartet schickte sie mir zu Weihnachten im vergangenen Jahr
eine Oblate und eine aktuelle Adressenliste der früheren Klasse 8 b der Grundschule
in Jelenia Góra. Damit ich mich an unsere gemeinsame Schulzeit erinnerte. Das tat
ich ohnehin. Beim Anblick eines Tellers Tomatensuppe mit Sahnehäubchen musste ich
immer an unsere Russischlehrerin denken. Ich sah weiße Wollknötchen auf ihrer tomatenfarbenen
Jacke, ich hörte ihre schneidende Stimme, mit der sie uns pausenlos zur Ordnung
rief, und mir wurde sofort übel.
    In Gedanken
schüttete ich die ungenießbare Tomatensuppe in den Ausguss, suchte in der Liste
die Telefonnummer von Jan Linde heraus und rief ihn an. Eine raue Männerstimme fragte,
was ich wünschte.
    »Jan? Spreche
ich mit Jan Linde?«
    »Ja. Und
wer sind Sie?«
    »Ich bin’s,
Valeska«, hauchte ich in den Hörer.
    »Valeska?
Was für eine …? Ach ja! Bist du es wirklich? Valeska Lem? 20 Jahre habe ich nichts
von dir gehört und plötzlich tauchst du wieder auf. Ich kann’s nicht glauben, was
für eine Überraschung! Wie oft habe ich an dich gedacht. Warum hast du dich nicht
früher gemeldet?«
    Ich lauschte
seiner klangvollen Stimme. Hörte ich da nicht unterdrückte Sehnsucht heraus? Bedauern,
dass wir uns aus den Augen verloren hatten? All die Komponenten, die ich für eine
klassische Story über die unvergängliche Macht der ersten Liebe brauchte? Für einen
Zeitungsartikel, oder sogar mehr? Nun wollte ich herausfinden, ob die Fortsetzung
meiner eigenen Liebesgeschichte noch möglich war. Jan kam mir mit seiner Frage zuvor.
    »Und wo
bist du jetzt, Valeska?«
    »In Berlin.«
    »Und verheiratet?
Viele Kinder?«
    »Ich bin
kinderlos und wieder Single«, sagte ich langsam und nachdrücklich.
    »Und wie
geht’s dir?«
    »Mir geht’s
prima. Ich hoffe, dir ist es auch gut ergangen, Jan.«
    »Besser
als gedacht. Ich habe eine Baufirma mit 20 Angestellten. Ich arbeite viel, ich reise
viel.«
    »Hast du
geheiratet?«
    Mir gefiel
sein herzhaftes Lachen. »Sogar dreimal. Die letzte Scheidung liegt zwei Jahre zurück.
Ich habe
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