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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Kolenda
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er Geld. So viel, dass er nach 20 Jahren Viren-
und Läusebekämpfung seine Anstellung im Gesundheitsamt kündigte und beschloss, Privatdetektiv
zu werden. Um endlich mal dem wahren Verbrechen auf die Schliche zu kommen. Wie
es seine Art war, ging er ruhig und systematisch vor. Kurz vor dem Einzug in unser
Haus hatte er auf einem Flohmarkt einen zerknitterten Regenmantel und einen Hut
gekauft. Das Türschild ›Privatdetektei, Kurt Schöne‹ war längst bestellt. Er musste
nur noch die erforderlichen Prüfungen ablegen.
    Kurt hatte
nur einen schweren Fehler: Er konnte meinen Hund Ben nicht leiden.

2.
     
    Am frühen Morgen überquerten wir
die deutsch-polnische Grenze und fuhren auf die Autobahn. Nach einer gefühlten Ewigkeit
bogen wir auf die Landstraße Richtung Jelenia Góra ab, eine Stunde später zeigte
sich in der Ferne das bläuliche Bergmassiv des Riesengebirges. Ich lotste Kurt über
kurvige Landstraßen. Vorbei an Wiesen und gelben Getreidefeldern, vorbei an blumengeschmückten
Heiligenfiguren am Straßenrand, vorbei an Biertrinkern, die vor Dorfläden auf den
Bänken saßen oder darunter im Gras schliefen.
    Kurt rutschte
auf seinem Sitz hin und her. »Das Knurren in meinem Rücken. Das macht mich nervös.
Kannst du den Hund irgendwie ausschalten?«
    » Du hast
anscheinend ein Problem mit geballter Männlichkeit.«
    »Du meinst
wohl kaum diesen übel riechenden Pelzsack da hinten?«
    »Also, jetzt
reicht es. Du wolltest unbedingt mitfahren. Du hättest auch in deinem sterilen Zimmer
in Berlin bleiben können.«
    Kurt beugte
sich weit über das Lenkrad und gab Gas.
    Ich streckte
die Hand nach hinten und tätschelte Bens Kopf. Er seufzte tief und dankbar. Hunde
sind sensible Wesen, und Doggen ganz besonders. Nachdem ich ihn ausgiebig gestreichelt
hatte, fiel mir auf, dass wir uns bereits dem Ort näherten, wo Jan wohnte. Mein
Herz klopfte, ich warf einen Blick in den Schminkspiegel der Sonnenblende. Alles
in meinem Gesicht strahlte vor Freude. Meine Augen leuchteten, der neue Lippenstift
schimmerte verführerisch, die Nase glänzte. Noch ein wenig Puder und ich war für
das Treffen bereit. »Jetzt weiter so rasant rechts herum. Dann die zweite Abzweigung
links. Wir machen einen Überraschungsbesuch bei Herrn Linde.«
    Wir durchquerten
einen Wald, bergauf ging’s in eine Privatstraße, beiderseitig standen gigantische
Kübel mit blühenden Oleandersträuchern. Der mediterrane Weg endete vor dem Schild
›Siedlung Gebirgssonne. Überwachte Anlage‹. Kurt stieg aus, schüttelte den Kopf
und zeigte zu den Villen auf der Anhöhe.
    »Hier wohnt
also dein Schulfreund? In dieser noblen Gegend?«
    Noch einmal
studierte ich den Zettel mit der Adresse. Alles stimmte. Siedlung Gebirgssonne.
Tulpenstraße 14.
    »Warte hier,
ich gehe alleine hoch.«
    Meinen treuen,
stillen Freund hatte ich keineswegs vergessen. Die frische Luft würde ihm guttun,
ich öffnete die Heckklappe. Ben schlackerte mit den Ohren und rührte sich nicht
von der Stelle. Also stieg ich vorn ein, schubste ihn aus dem Auto und gab Kurt
die Leine. »Ben liebt Waldspaziergänge.«
    Kurt holte
aus seiner Reisetasche einen zusammengeklappten Wanderstock und einen Tropenhelm
hervor, den er sich trotzig auf den Kopf setzte. »Genau das habe ich mir eben gedacht.
Ben, komm, wir wollen die Wiedervereinigung nicht stören.«
    Den bissigen
Unterton in seiner Stimme überhörte ich geflissentlich und schenkte ihm ein Lächeln.
»Also, ich bin gleich zurück. Pass auf den Hund auf, du weißt …«
    Kurt schwang
hektisch seinen Wanderstock. »Ja. Ich weiß.«
    Mit einem
Sprung verschwand Ben zwischen den Bäumen und Kurt eilte ihm nach. Aus meiner Handtasche
holte ich einen Spiegel, betrachtete mein Gesicht genau und erschrak. Auf meiner
Stirn hatte sich plötzlich eine senkrechte Falte eingegraben. Oder war sie schon
immer da gewesen? Die Lachfältchen um die Augen waren auch verdächtig tief. Was
war nur los? War ich während der kurzen Reise dermaßen gealtert? Egal. Für eine
Frau in den Vierzigern sah ich bemerkenswert gut aus. Und das Wichtigste: Ich war
gerade auf dem Weg nach oben, auch im buchstäblichen Sinne. Leichtfüßig stieg ich
den breiten, sonnenüberfluteten Weg hinauf, entlang einer hohen, grauen Mauer, hinter
der nur Dächer zu sehen waren. Alle 20 Meter waren Blechtafeln mit Kampfhunden angebracht,
die warnten: ›Hier wache ich!‹. Das Haus Nummer 14 fügte sich harmonisch in die
Umgebung ein, seine Umzäunung war ebenso hässlich und
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