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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Kolenda
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Sitten. Noch nie was von einer Spirituosen-Ausstellung gehört?«
    Die Tür
zum nächsten Raum ging auf, eine Frau mit einem silbernen Glöckchen in der Hand
trat heraus. »Herr Linde hat gerade angerufen, durch unvorhersehbare Umstände ist
er leider aufgehalten worden. Er bedauert sehr, die Ausstellung nicht pünktlich
eröffnen zu können, und bittet um ein bisschen Geduld. Vielleicht wollen Sie sich
die Wartezeit verkürzen, indem Sie einen Blick auf die Exponate werfen. Bitte folgen
Sie mir.«
    Niemand
rührte sich. Sie klingelte mit dem Glöckchen, keiner schien von ihr Notiz zu nehmen.
Wie wild fuchtelte sie jetzt mit ihrem Glöckchen herum und war schon den Tränen
nahe, als Kurt sich erbarmte und ihr folgte.
    Was tut
man nicht, um andere Menschen glücklich zu machen, besonders wenn man selbst eine
Enttäuschung einstecken muss wie ich wegen der Verspätung des Gastgebers. Also ging
ich ebenfalls hinein und erlebte eine Überraschung. Es war tatsächlich eine Kunstausstellung.
Die Wände des Raumes waren dicht mit Bildern behängt, die das Riesengebirge in verschiedenen
Jahreszeiten wiedergaben.
    Nachdem
ich mich an den schneebedeckten Gipfeln so sattgesehen hatte, dass es mich fröstelte,
ging ich zum Tisch mit den Getränken.
    Kurt entdeckte
ich neben einer Blondine. Auf Polnisch mit starkem deutschem Akzent, den die meisten
Polen niedlich finden, berichtete er ihr über unsere Autofahrt. Sie hing an seinen
Lippen und verrenkte sich gekonnt. Bewundernswert, wie sie es schaffte, alles zur
Geltung zu bringen, was ihr Mutter Natur, ihr Friseur und eine gute Schneiderin
zur Verfügung gestellt hatten. Gefühlvoll war sie anscheinend auch. Mit gespielter
Furcht drückte sie die Hände an die Brust: »Oh je, beinahe ein Unfall! Am Steuer
eine alte Bäuerin? Und was haben Sie gemacht?«
    »Ich? Durch
solche Kleinigkeiten lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen«, sagte Kurt verwegen.
»Ich lachte laut auf und dachte, dass ich dieser temperamentvollen Rennfahrerin
gerne unter anderen Umständen und 30 Jahre früher begegnet wäre.«
    Die Blondine
zwitscherte begeistert: »Ich fahre auch gerne schnell.«
    »Ach wirklich?
Das ist ja äußerst interessant. Ich bin übrigens Kurt Schöne. Für Freunde: Kurt
von Schöneberg.«
    »Alix«,
hauchte das blonde Wesen.
    »Was für
ein seltener Name.«
    »Gefällt
er Ihnen?«
    »Außergewöhnlich
reizvoll.«
    »Ach, tatsächlich«,
die Blondine setzte ihre gymnastischen Übungen fort. Ihr Oberkörper befand sich
inzwischen direkt unter Kurts Doppelkinn. Ihn schien das nicht zu stören, im Gegenteil,
er blickte lüstern hinunter. Die Fortsetzung der Unterhaltung interessierte mich
nicht, ich ging weiter.
    »Sie sind
nicht von hier, habe ich recht?«, krächzte eine Stimme neben mir. Sie gehörte einem
zotteligen Zwerg mit roter Krawatte.
    »Wie haben
Sie das erraten?«
    »Sie schauen
sich die Leute sehr genau an, als würden Sie etwas suchen. Oder darüber berichten?
Na klar, Sie sind vom Fach. Das rieche ich sofort.«
    »Und wer
sind Sie?
    »Die wandernde
Chronik der Stadt, ich kenne hier jeden und weiß alles. Ich bin Edy Cop, Journalist.«
    »Valeska
Lem, Übersetzerin.«
    Der Zwerg
musterte mich von oben bis unten. »Wir sind füreinander bestimmt.«
    »Ah ja,
inwiefern?«
    »Die Kleidung.
Sie bevorzugen Schwarz und Rot. Ich ebenfalls. Wie beim Roulette. Das kann nur eins
heißen: der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.«
    »Ein Fan
von Casablanca, was? Humphrey Bogart musste auch auf eine Kiste klettern, um Ingrid
Bergmann in die Augen zu schauen.«
    »Soll ich
eine Kiste holen?«, erbot sich der Zwerg. »Damit wir den Abschiedskuss üben können.«
    »Sind Sie
denn völlig betrunken?«
    »Noch nicht«,
erwiderte der Zwerg gelassen und verschwand in der Menge. Wie ein Wiesel huschte
er zwischen den Gästen hindurch und fotografierte eifrig. Plötzlich tippte jemand
auf meine Schulter. Abrupt drehte ich mich um.
    Da stand
er, direkt vor mir, Jan Ambrosius Linde. Das unvergessliche Lächeln, der vertraute
Silberblick. Und die raue Stimme.
    »Valeska.
Den schwarzen Leinenanzug kenne ich doch.«
    »Ja«, flüsterte
ich. »Ich passe immer noch rein.«
    »Habe ich
mich verändert?«
    Prüfend
sah ich ihn an. Er war 20 Jahre älter, 30 Kilo schwerer, trug ein weißes Jackett
mit goldenen Knöpfen und rauchte eine Zigarre. »Kaum. Damals hast du gemusterte
Pullover aus Polyester getragen, Knabengröße. Und geraucht hast du russische Zigaretten.
Fünf Zentimeter Papierhülse
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