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Vom Himmel in Die Traufe

Titel: Vom Himmel in Die Traufe
Autoren: Arto Paasilinna
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Leben.
    Unterwegs machten sie in der abgelegenen Provinzstadt Tomar halt, um einen Lunch einzunehmen. Ragnar rühmte sich damit, welch gutes Händchen er bei der Auswahl lokaler, ländlicher Delikatessen hatte. Als koketter Mann von Welt wusste er, welche Speisen der Reisende genießen sollte. Er tippte mit seinem herrschaftlichen Zeigefinger auf ein Gericht vom Schwein, das die Speisekarte anzeigte, und schmunzelte zufrieden.
    »Letztlich sind die einfachen Mahlzeiten, die mit tausendjähriger Erfahrung zubereitet werden, das Beste, was die Welt für einen armen Sterblichen bereithält.«
    Der Schweinetopf erwies sich als ein Gemisch aus braunen Bohnen, Schweinsfüßen, Schnauzen, Schwänzen, Enddärmen und undefinierbaren Speckstücken. Aber ehe sie sich schlagen ließen, aßen sie das Zeug lieber, denn der Wirt sah aus, als hätte er harte Fäuste und verstünde nicht viel Spaß.
    In einer hügeligen Gegend im westlichen Portugal, zwischen der Atlantikküste und der Hauptstadt Lissabon, erhob sich die mittelalterliche Kriegsfestung Obidos. Sie war später zum Königsschloss umfunktioniert worden und diente heute als Pousada. Das Hotel hatte nur zwanzig Bettenplätze und mehrere Suiten, die sich in den hohen Wehrtürmen befanden. Die Finnen konnten jene im Südwestturm mieten. Es kostete Mühe, Ragnar durch die verwinkelten Säle und Gänge in sein Zimmer zu bugsieren. Lena und Hermanni bezogen die auf zwei Etagen eingerichtete spartanische Suite, deren einzige natürliche Lichtquelle eine schmale Schießscharte war. In der zweiten Etage stand ein jahrhundertealtes Baldachinbett, Schlafstatt von Fürsten und Königen. Auch dieser karge Turm war diskret mit allem denkbaren Komfort ausgestattet worden, einschließlich der ferngesteuerten Klima­anlage. Abends verwöhnten sich die Reisenden mit gegrillter Brasse und dampfgegarten Lammkoteletts. Das Frühstück nahmen sie in der Königsloge ein, die einen atemberaubenden Blick auf grüne Hügel und fruchtbare Täler mit leuchtend gelben Feldern bot.
    Nachts drang durch die Schießscharte ein schmaler Streifen Mondlicht herein, er traf auf den an der Wand befestigten eisernen Ritterharnisch und ließ ihn silbern blinken. Es war ein gruseliger Anblick. Die düstere Stimmung des Turmzimmers beflügelte die Fantasie, lenkte die Gedanken auf das Leben und die Welt. Die Geister erhängter Burgherren und erdrosselter Könige forderten ihr Recht – zu spät, wie immer.
    Lena sprach im Flüsterton mit Hermanni über die Situation in Finnland, die schlimmer war als je zuvor. Das Volk war in zwei Klassen aufgespalten, das war Fakt – in die Arbeitslosen und Ausgemusterten und in jene, die immer noch hofften und schwache Anzeichen einer beginnenden Konjunktur sahen. Eine Frau von fünfzig Jahren war faktisch Müll. Lena fand, dass es beim Volksaufstand nicht mehr nur um eine Revolte der Arbeitslosen ging, es würde auch die letzte Möglichkeit für all jene sein, die auf den Boden der Gesellschaft, in die unterste Klasse, niedergestampft worden waren. Sie selbst fühlte sich auf gewisse Weise ebenfalls zum B-Bürger deklassiert, auch wenn sie noch die Kontrolle über die Aktien der Speditionsfirma hatte.
    Das Finnland der Diskriminierten war wie das jüdische Getto in Warschau zu Zeiten der deutschen Okkupation. Man konnte nicht mehr fliehen, überall waren Zäune. Die einzige Möglichkeit war ein verzweifelter Aufstand, und selbst der war zum Scheitern verurteilt.
    Hermanni versuchte seine Braut zu beruhigen, aber sie hielt dagegen und behauptete, dass er und Ragnar keine Vorstellung mehr von der Wirklichkeit in Finnland hatten. Sie waren schon zu lange im Ausland, waren zu weit weg gewesen, sie hatten zu viel Geld zur Verfügung gehabt, ihr Leben war zu leicht gewesen. Sie waren übersättigt.
    Lena bekannte, dass auch sie selbst nach dem Zusammenbruch ihrer Reederei erstmals im Leben begriffen hatte, was Unsicherheit und Angst wirklich bedeuteten. Sie flüsterte, dass sie sich von Herzen wünschte, ein gewaltiger Himmelskörper möge in Finnland einschlagen, möge das ganze unglückliche Land verbrennen und zersprengen, möge all den dummen Herren den Garaus machen und die armen Menschen befreien, die zu einem Leben im Elend verurteilt waren.
    Im Stillen und mit einem zynischen inneren Lachen dachte sie, dass es langsam Zeit wurde für Hermannis Aufstand, damit sie noch einen Nutzen davon hatte und ihr der erhöhte Transportbedarf zu mehr Reichtum und ihrer Speditionsfirma
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