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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen
Autoren: Jan Grossarth
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sagte er, als wir auf Steinen am Isarufer in der Abenddämmerung Rast machten, »ich habe ein sehr starkes Fundament gefunden, das mir ein Leben in echter Liebe ermöglicht. Ich bin nicht religiös, aber ich habe einen starken Glauben.«
    Manchmal, wenn meine Nachfragen ihm zu verstehen gaben, dass ich eine Aussage falsch verstand, immer dann wurde seine Stimme lauter, manchmal zornig. Immer und immer wieder vergaß ich, dass es seine Prämisse war, dass in seiner Idealwelt alles freiwillig, ohne Staat und Zwang geschah. Dann wurde er laut, jetzt etwa, weil ich Bedenken gegen seine Idee äußerte, dass Kinder sich ihre Eltern in Internetplattformen, die Partnervermittlungsseiten ähnelten, frei wählen dürfen.
    »Entschuldigung, wenn ich manchmal laut werde, das liegt daran, dass ich dann nicht das Gefühl habe, dass ich verstanden werde«, sagte er.
    Wir erreichten nach 22.00 Uhr einen Marktkauf. Er hatte zu. Das Gewerbegebiet war menschenleer. Auch der Aldi im Feringapark hatte seine Container hinter Gitter gesperrt. Nach einer halben Stunde erreichten wir einen weiteren Aldi. Die Nacht war nun ganz dunkel, der Regen hatte sich zurückgezogen. Auf einer Betonrampe, die ins Parkhaus des Aldi-Markts führte, standen Container, sie waren offen und so voll wie keine vor ihnen. Wir waren im Paradies: Bananen, Knoblauch in Netzen, griechischer Spargel, Bio-Kartoffeln. Und Blumen, ein Container wie eine Frühlingswiese. Ordentliche Ware.
    Der Elf lud sich von Euphorie erfasst seine Umhängetasche voll, er strahlte beim Anblick der Bananen und zeigte sie mir: »Exzellente Ware, so etwas werfen sie weg, so schöne Bananen.«
    Ich fotografierte uns mit unserem späten Fang, wie ein Angler sich mit seinem Karpfen ablichten lässt, für den er vierundzwanzig Stunden am Wasser gesessen hatte. Und wie der Angler seinen Karpfen, so warf ich meine Teile wieder zurück in den Container und sagte Pavlik, dass ich starkes Bauchweh habe und Hunger und gern diese Nacht nicht mehr im Zelt, sondern bei einem Freund in der Stadt übernachten würde. Er fand das in Ordnung und sagte, er werde den Weg zum Zelt allein zurückfinden. Ich sah den Elfen Pavlik im Dunkel des Münchner Ostens verschwinden wie einen Wanderer im Herbst nebel.
    Ich schaltete mein Handy ein, rief Luca an, wenig später blendeten mich Scheinwerfer eines Autos von der anderen Seite. Es gab ein gemachtes Bett, eine heiße Dusche, unkomplizierte Spaghetti, Bier aus einer Flasche ohne Schimmelspuren, wir sprachen über Fußball und darüber, was Bekannte gerade so machten, etwas Schöneres konnte ich mir gar nicht vorstellen.

Edelgastronom mit Schweizer Almhütte
    Rudolf Wötzel hatte sein halbes Leben für Banken gelebt. Zuletzt arbeitete er bei der Investmentbank Lehman Brothers als Deutschlandchef Mergers and Acquisitions. Wötzel beendete diese Hälfte seines Lebens mit einer Kündigung, noch bevor die Bank pleiteging, und wanderte von Salzburg bis nach Nizza über hundertneunundzwanzig Alpengipfel, und als er zurück war, schrieb er darüber ein Buch, in dem kaum ein Gipfel fehlt.
    Das Buch hat den Titel Über die Berge zu mir selbst. Ein Ban ker steigt aus und wagt ein neues Leben. Bis nach Nizza musste der Banker Wötzel also laufen, um dort am Strand den alten Rudi wiederzufinden. Der Gang nach Canossa war von Erfolg gekrönt. Dann fuhren Herr Wötzel und Rudi wieder vereint zurück und ließen sich auf halber Strecke in einem Schweizer Bergdorf nieder.
    Im Buch beschreibt Rudolf Wötzel auch sein früheres Leben. Er bemüht sich nicht darum, es zu beschönigen, und man fragt sich beim Lesen, wie es ein im innersten Kern guter Mensch in einem Milieu, das er rückblickend als derart widerlich beschreibt, so lange aushalten konnte. Der Autor jedenfalls greift zum beliebten Verdrängungsmittel der schizophrenen Persönlichkeitsspaltung: Der Icherzähler stapft heroisch durch den Gipfelschnee und nennt sein früheres Selbst in kursiv gedruckten Rückblicken nur noch »Herr W.«.
    Dieser W. war ein Opportunist und machthungriges Arschloch, das in einem »Söldnergewerbe« seinen Weg nach oben gemacht hatte. W. ekelte sich aber zunehmend vor sich selbst, war manchmal von Schuldgefühlen geplagt, nahm trotzdem eine Karrierestufe nach der anderen. Er lernte die Spielregeln einer empathielosen Welt, maximierte Boni und Arroganz, ein Mann ohne Eigenschaften, der hohes Ansehen genoss in der emotional verkrüppelten Finanzaristokratie.
    Eigentlich habe er sich für die
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