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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss
Autoren: Patricia Schroeder
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Unterarmgelenken zwischen die Türflügel. Wenn sie nur verhindern konnte, dass der Spalt sich vollständig schloss, vielleicht reichte das ja schon, um dem Geschehen auf dem Burggelände Einhalt zu gebieten und das Schlimmste zu verhindern. Doch die harten Kanten der Türflügel schnitten unnachgiebig in ihr Fleisch und drohten ihr die Unterarmknochen zu zertrümmern.
    »Rouben, hilf mir!«, stieß Jolin unter Tränen hervor. Der Schmerz in ihren Armen war die reine Hölle. Er schoss bis hoch in ihre Schultern hinauf. Jolin hatte das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden. »Bitte, Rouben«, wimmerte sie, »wenn du noch in dieser Welt bist und wenn du mich auch nur ein bisschen lieb hast, dann hilf mir, Klarisse und Anna und Rebekka ...« Jolin wurde schwarz vor Augen. Sie merkte noch, dass jemand gegen sie fiel, sich an ihren Rücken presste und ihre Arme umfasste. Antonin, dachte sie. Nun hatte er sie wieder, nun war wirklich alles zu spät.
    Zu spät, zu spät, zu spät!, hallte das Fremde durch ihren Kopf. Dann ertönte ein Lachen, das alles überlagerte und mitten darin war Roubens Stimme. Jolin, gib nicht auf. Hör nicht auf ihn. Hör mir zu: Wir schaffen es, wir werden mit-einander sein, wir werden glücklich sein. Ich liebe dich. Du bist alles, was ich jemals wollte.
    Eine Welle raste durch Jolins Körper, so heiß, dass sie glaubte zu verbrennen. Dann ertönte ein gewaltiges Krachen. Die Flügel der Holztüren zerbarsten, und die Burgmauern fielen in sich zusammen. Unzählige Steine polterten zu Boden, riesige Staubwolken wirbelten auf. Sie dämpften das Schwarz des Himmels und verschleierten die Leuchtkraft des Mondes. Jolin fiel, und im Fallen sah sie, dass Vincent verschwunden war und Klarisse blutend zu Boden sank. Dann schlug sie auf und verlor das Bewusstsein.
     
    Es war dunkel, kalt und staubig. Jolins Nasenlöcher waren verstopft, sodass sie kaum Luft bekam. Ihre Augen brannten, und ihre Wimpern klebten zusammen. Sie konnte ihre Hände nicht bewegen, außerdem lag etwas Schweres auf ihr.
    »Jol?«, hörte sie Annas Stimme direkt an ihrem Ohr. »Jol, geht es dir gut?«
    Jolin stöhnte. »Nein ... Mein Rücken ...« Sie hustete.
    »Kannst du die Augen öffnen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ich wisch sie dir jetzt sauber, Jol, hörst du ...?«
    Jolin nickte. Ihr ganzer Körper schmerzte. Es schien keine einzige Stelle zu geben, die ihr nicht wehtat. Aber am schlimmsten stand es um ihre Hände. Sie hörte, wie jemand ausspuckte, dann glitt etwas Kühles und Feuchtes über ihre Lider.
    »Vielleicht jetzt«, sage Anna.
    Jolin versuchte die Augen zu öffnen. »Sie sind voller Staub«, hörte sie Anna sagen. »Es muss sich schrecklich anfühlen.«
    »Es fühlt sich an, als ob sie voller Glassplitter wären«, erwiderte Jolin, dann spürte sie, dass sie weinte.
    »Das ist gut«, wisperte Anna. »Das wäscht den ganzen Dreck raus.«
    »Wo ist Rouben?«, fragte Jolin. »Wo ist er?«
    »Hier«, sagte Anna. »Hier bei dir. Er liegt auf dir ...«
    »Geht es ihm gut?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Anna. »Er ist bewusstlos.«
    »Was ist mit der Sonne? Ist die Sonne schon aufgegangen?«
    »Nein, Jol. Was redest du denn da? Es ist mitten in der Nacht.«
    »Und die anderen?«, fragte Jolin. »Was ist mit den anderen?«
    »Sie sind okay.«
    »Alle?«
    »Ja, alle.«
    »Klarisse?«
    »Klarisse auch. Sie hat eine Verletzung am Hals. Wahrscheinlich ist sie dort von einem Steinsplitter getroffen worden. Und ihre Klamotten sind natürlich auch total ruiniert. Aber sonst ist sie in Ordnung.
    »Das war kein Steinsplitter«, sagte Jolin.
    »Doch, Jol«, erwiderte Anna. »Die ganze Ruine ist zusammengestürzt. Stell dir vor, einfach zusammengestürzt. Niemand hat etwas abbekommen. Nur Rouben und du ... Kannst du dich denn gar nicht mehr erinnern?«
    »Doch.« Natürlich. Jolin nickte. Sie erinnerte sich an alles. »Aber vorher, als der Mond aufging und Vincent ...«
    »Vincent? Wer soll das sein?«
    »Roubens Bruder.«
    »Du phantasierst«, sagte Anna. Jolin spürte, wie ihre warme weiche Hand ganz sanft über ihre Stirn fuhr. Es tat gut, es tat so gut. »Rouben hat keinen Bruder«, fuhr sie leise fort. »Er hat überhaupt keine Familie.«
    »Doch«, murmelte Jolin. Sie weinte, und das tat ebenfalls gut, obwohl ihre Augen dadurch noch mehr brannten. Aber wenigstens konnte sie sie jetzt ein wenig öffnen und Anna anschauen. Anna mit wild zerzausten Haaren und einem Gesicht, das ganz schwarz vor Dreck war. Jolin versuchte
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