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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
Autoren: Neal Shusterman
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alles zu geben.
    Albert Camus, Der Mensch in der Revolte

1.
    Starkey
    Als sie ihn holen kommen, hat er gerade einen Albtraum.
    Eine gewaltige Flutwelle verschlingt die Welt, und mitten in diesem Chaos wird er von einem Bären zerfetzt. Statt Angst überkommt ihn Verärgerung: Als wäre die Flutwelle nicht schon genug, muss sein Unterbewusstsein auch noch einen wütenden Grizzly heraufbeschwören, der ihn zerfleischt.
    Unvermittelt wird er mit den Füßen voran aus dem tödlichen Rachen und dem versinkenden Armageddon gezogen.
    »Aufstehen! Sofort! Los geht’s!«
    Als er die Augen öffnet, ist das Zimmer, das dunkel sein müsste, hell erleuchtet. Zwei JuPos packen ihn grob an den Armen und ersticken jede Gegenwehr. Er ist ohnehin noch nicht richtig wach.
    »Nein! Aufhören! Was soll das?«
    Handschellen. Erst um das rechte Handgelenk, dann um das linke.
    »Hoch mit dir!«
    Sie zerren ihn auf die Beine.
    »Lassen Sie mich in Ruhe! Was ist denn los?«
    Doch mittlerweile ist er wach und weiß, was los ist. Er wird entführt. Oder auch wieder nicht, denn die Überstellungspapiere wurden in dreifacher Ausfertigung unterzeichnet.
    »Bestätige in Worten, dass du Mason Michael Starkey bist.«
    Es sind zwei Beamte. Einer ist klein und muskulös, der andere groß und muskulös. Wahrscheinlich ehemalige Armeesoldaten, die zu den JuPos gewechselt sind. Ein JuPo kann schon kein Herz haben, aber wer Jugendliche zur Umwandlung abholt, hat wahrscheinlich auch keine Seele mehr. Entsetzen und Furcht packen Starkey. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen, denn er weiß, dass sich JuPos an der Angst anderer weiden.
    Der Kleinere, offenbar das großmäulige Sprachrohr der beiden, starrt ihn böse an: »Bestätige in Worten, dass du Mason Michael Starkey bist!«
    »Und warum sollte ich das tun?«
    »Junge«, sagt der andere JuPo, »egal, ob du es uns leicht machst oder nicht: Wir ziehen das auf alle Fälle durch.« Der zweite Polizist spricht sanfter, mit Lippen, die augenscheinlich nicht seine eigenen sind. Sie sehen aus wie die von einem Mädchen. »Bringen wir’s einfach hinter uns, ja?«
    Sie scheinen anzunehmen, dass Starkey sie schon erwartet hat. Aber welcher Wandler weiß so was schon im Voraus? Jeder Jugendliche glaubt doch tief in seinem Herzen, dass ihm das nicht passieren wird. Dass seine Eltern, egal wie schwierig die Situation zu Hause auch sein mag, nicht auf die allgegenwärtige Werbung im Fernsehen, im Internet und auf Plakatwänden hereinfallen, die ihnen vorgaukelt, die Umwandlung sei »die vernünftige Lösung«.
    Aber wem will er etwas vormachen? Auch ohne die Propaganda ist Starkey der klassische Umwandlungskandidat, und zwar schon, seit er auf der Türschwelle seiner Eltern auftauchte. Er müsste eher überrascht sein, dass sie so lange damit gewartet haben.
    Das Großmaul reckt ihm drohend das Kinn entgegen. »Zum letzten Mal: Bestätige in Worten, dass du …«
    »Ja, ja, Mason Michael Starkey. Und jetzt verschwinde, dein Atem stinkt.«
    Lady-Lips zieht ein Formular in dreifacher Ausfertigung aus der Tasche, weiß, gelb und rosa.
    »Sie verhaften mich?« Starkeys Stimme zittert. »Was habe ich denn verbrochen? Ist es, weil ich sechzehn bin? Oder weil ich überhaupt existiere?«
    »Halt’s-Maul-oder-wir-betäuben-dich.« Bei Großmaul klingt das wie ein einziges Wort.
    Im Tiefsten seines Innern würde Starkey gern betäubt werden – einfach einschlafen und, wenn er Glück hat, nie wieder aufwachen. Dann bliebe ihm die Erniedrigung erspart, mitten in der Nacht aus seinem Leben gerissen zu werden. Aber nein, er will die Gesichter seiner Eltern sehen. Oder vielmehr: Sie sollen sein Gesicht sehen. Wenn er betäubt wird, kommen sie zu leicht davon. Dann müssen sie ihm nicht in die Augen schauen.
    Lady-Lips hält ihm die Umwandlungsverfügung vor die Nase und leiert den berüchtigten Paragrafen 9 herunter, die »Aufhebungsbestimmung«.
    »Mason Michael Starkey, mit der Unterzeichnung dieser Verfügung haben deine Eltern und/oder dein gesetzlicher Vormund deinen seit sechs Tagen nach der Empfängnis bestehenden Existenzanspruch beendet. Somit machst du dich einer Verletzung des Existenz-Kodex 390 schuldig. Du wirst deshalb an die Jugendbehörde von Kalifornien überstellt, zur summarischen Teilung, auch als Umwandlung bekannt.«
    »Blablabla.«
    »Sämtliche Rechte, die dir vom Bezirk, vom Bundesstaat oder von der Bundesregierung als Bürger zugestanden wurden, werden hiermit offiziell und endgültig
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