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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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Erdmann, und in Liebesdingen, das weiß ich seit letztem Sommer, sind wir Erdmännchen den Menschen kein Stück voraus. Soll heißen: Mein Verlangen ist größer als jede Selbstachtung. Was Elsa angeht, bin ich also – harte Erkenntnis – nicht reifer als Justus: Während der jeden Morgen gegen das Geländer rennt, schiebe ich willig mein Herz durch die Schreddermaschine.
    Alles, was ich tun kann, ist, mir nichts anmerken zu lassen. So zu tun, als ob. Was nicht funktioniert, kein Stück, nie funktioniert hat und nie funktionieren wird. Elsa kann mein Herz schlagen hören, wenn ich noch am Waldschenkenteich bin. Manchmal glaube ich sogar, ich muss nur in meiner Kammer liegen und an sie denken, damit sie es hören kann.
    »Morgen, Elsa«, rufe ich. Ich rufe es tatsächlich. Und schicke hinterher: »Wie läuft’s denn so?« Mann, muss ich bescheuert sein.
    Von ihrem Hügel aus lässt Elsa einen beiläufigen Blick zu mir herabrollen, schwer wie ein Felsbrocken. »Lass stecken, Ray.« Danach wendet sie sich ab.
    Das war’s. Ein Satz, ein Meteorit und ein Herz so groß wie ein Pfirsichkern. Wumm! Matsch.
    Schwer atmend krabbele ich aus dem Meteoritenkrater meines Elends und schleppe mich zu unserem Gehege hinüber. Wo nehme ich nur immer wieder diese Kraft her? Jeden Morgen dasselbe bittersüße Spiel. Eines Tages, überlege ich, bleibe ich einfach liegen. Aber nicht heute und nicht morgen. Wahnsinn, so ein Organismus. Lebt, ob man will oder nicht. Wunder der Natur.

    Am Zaun erwartet mich Rufus mit seinem Schlaumeiergesicht und einem Grinsen, als hätte er eine Pommesgabel quer im Maul stecken. Vor lauter Aufregung haut er sich mal wieder die Klaue aufs Ohr. Klassische Übersprungshandlung. Im üblichen Nörgelmodus kann mein Bruder einem bereits mächtig auf den Zeiger gehen, aber gutgelaunt ist er einigermaßen unerträglich. Und mein endzeitlicher Seelenzustand macht es kein Stück besser.
    »Ich will’s nicht wissen«, komme ich ihm zuvor, während ich mit gesenktem Kopf am Gehege vorbeischleiche.
    Er tut so, als habe er mich nicht gehört. Ein sicheres Indiz dafür, dass er bester Stimmung ist. »Du wirst nicht glauben, was …«
    »Ich will’s nicht wissen!«, wiederhole ich.
    Damit verschwindet zwar das Pommesgabelgrinsen, aber dieser Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Blick will einfach nicht aus seinem Gesicht weichen. »Verstehe«, spielt er den Beleidigten. »Dann werde ich die Jungfernfahrt wohl ohne meinen Bruder unternehmen müssen.«
    Ich bleibe stehen und richte mich auf. Das glaube ich nicht. Korrektur: Ich glaube es doch. Rufus’ Grinsen sagt alles. Er ist ein nervtötender Besserwisser. Aber er ist auch ein Genie. Momente wie dieser sind es, die einem immer wieder klarmachen, dass das Leben am Ende doch seinen Preis wert ist.
    »Du hast das Boot klargemacht«, sage ich ungläubig.
    Und schon ist es wieder da: dieses dämliche Pommesgabelgrinsen.

Kapitel 2
    Rufus und ich stehen in der einzigen Kammer auf der Minus-3-Ebene unseres Baus. Jedenfalls nennt Rufus sie so. Hier haben sich Nino und die anderen Traubenzucker-Junkies aus dem vierten Wurf im Sommer versehentlich in die Kanalisation durchgegraben. Seitdem ist der Zutritt zur Minus-3-Ebene für alle Clanmitglieder strengstens verboten. Ausgenommen die Erdmännchen aus dem ersten Wurf.
    Das Loch hat den Durchmesser einer Radkappe, und als wir jetzt das Rollgitter entfernen und in die Kanalisation hinabblicken, liegt es da wie eine Verheißung: unser Boot. Rufus meint, es hätte einen gemäßigten V-Boden (»kommt leicht ins Gleiten, läuft aber in rauem Wasser schnell hart«), wäre also für unsere Zwecke bestens geeignet. Mir so was von egal. Auf jeden Fall glänzt es wie ein frisch gestriegeltes Rennpferd, das auf seinen großen Auftritt wartet.
    Letzte Woche oder so hab ich es entdeckt – bei einem meiner gelegentlichen Ausflüge in die Unterwelt. Da, wo der Regenwasserkanal auf den Entlastungskanal trifft, bewegte sich ein silberglänzendes Ding im Wasser. Zuerst dachte ich natürlich an einen Raubwels, aber das Ding gab so ein merkwürdiges Sirren von sich, also hab ich es mir aus der Nähe angesehen, und dabei stellte sich dann heraus, dass es ein Boot war. Hatte sich in einem Netz aus Tamponfäden verfangen, die in einer Astgabel festhingen, steckte kopfüber im Wasser und zappelte um sein Leben. Krass cooles Teil, voll spacemäßig, gemäßigter V-Boden und so weiter.
    Ich wartete, bis die Schrauben der beiden Außenborder
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