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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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verführen.«
    »Sollst du auch nicht«, erwidere ich. »Biete es ihr an. Das haben die Menschen doch schon früher so gemacht.«
    Rufus stutzt. »Was meinst du?«
    »Bei uns im Kino lief doch diese Doku aus der Frühzeit der Menschen.«
    Rufus überlegt, dann geht ihm ein Licht auf. »Woodstock. Das ist ein Konzertfilm. Eine eher singuläre Erscheinung. Und die Blumenkinder der Sechziger muss man auch unter dem Aspekt …«
    »Rufus, ich hab wenig Zeit«, unterbreche ich. »Befolge meinen Rat, oder lass es! Ich werde jetzt jedenfalls mit diesen beiden Pillen verschwinden. Wenn du willst, kannst du mich ja anzeigen.« Ich mache eine Kunstpause. »Ich hoffe nur, dass bei der Untersuchung meines Falles nicht auch andere Unregelmäßigkeiten in der Asservatenliste ans Licht kommen.«
    Rufus presst die Lippen aufeinander. »Das ist Nötigung.«
    »Genau«, sage ich. »Weil wir es nämlich beide nötig haben.«
    Dann mache ich mich auf den Weg.
    Der Zoo schließt bald. Um den letzten Besuchern auszuweichen, muss ich einen kleinen Umweg nehmen und mich Elsas Käfig seitlich nähern. So bin ich einigermaßen vor neugierigen Blicken geschützt. Als ich durch das Buschwerk die Gitterstäbe erblicke, stockt mir der Atem. Sie sitzt mit dem Rücken zu mir. Das dichteste, seidigste, flauschigste Fell des Universums drückt sich durch die Gitterstäbe und erinnert mich an jenen Abend, als Elsa mich zu sich gerufen hat. Ich muss den Gedanken daran rasch beiseiteschieben, weil er mir sonst direkt in die Lenden schießt. Ich mache einen Schritt nach vorn. Elsas Parfüm schlägt mir entgegen. Pfirsich und Urin. Es ist nur ein Hauch und trotzdem fühlt es sich an, als würde mir eine Sturmböe den Kopf ins Genick schlagen.
    »Hi, Elsa«, flüstere ich, bevor mich der Mut verlässt.
    Schweigen.
    »Was willst du, Ray?«, fragt sie nach einer halben Ewigkeit.
    »Mit dir auf eine Reise gehen«, antworte ich.
    Wieder ein Zögern, das mir wie Stunden vorkommt. Dann bewegt sich ihr graziler Körper, sie dreht den Kopf und schaut mich an.
    Ich darf jetzt nicht zögern, das weiß ich. Also trete ich vor, öffne meine Pfote und zeige ihr die beiden Pillen.
    Ein kurzes Blitzen in ihren Augen. Es sieht aus wie die Explosion einer einzelnen Silvesterrakete.
    Ich nehme eine der beiden Pillen und schlucke sie. »Kommst du mit, Elsa?«
    »Der Zoo ist nicht mal geschlossen«, entgegnet sie. Es könnte bedeuten: Ich habe kein Interesse. Andererseits zittern ihre feinen, weißen Brusthaare wie bei einem frisch geschlüpften Küken. Sie ist erregt.
    Immer noch halte ich ihr die Pille hin. »Dann sag mir, dass ich gehen soll.«
    Ich drohe, in ihren dunklen Augen zu ertrinken, aber ich halte ihrem Blick tapfer stand.
    Langsam wandert ihre anmutige, kleine Vorderpfote durch das Gitter und greift nach der Pille. Elsa nimmt sie, ohne den Blick von mir zu wenden.
    Wieder ein Blitzen in ihren Augen, aber diesmal ist es der Auftakt zu einem Feuerwerk. Es kommt mir vor, als würde ich die Gitterstäbe mit Leichtigkeit beiseiteschieben und mich einfach dem Duft und der Flauschigkeit von Elsa hingeben. Und dem Nachthimmel in ihren Augen, der nun in Kaskaden erstrahlt und mich hinaufzieht zu den Sternen, weiter und weiter bis in das unendliche …
    … Schwarz.

    Als ich erwache, ist es Nacht. Am Himmel sind kaum Sterne zu sehen, geschweige denn ein Feuerwerk. Im Halbdunkel erkenne ich Elsas Umrisse auf der gegenüberliegenden Seite des Käfigs. Mein Herz schlägt schneller. Es war kein Traum, dass ich … dass wir … Ich schließe die Augen, sammele die Bilder der vergangenen Stunden, und ein Wohlgefühl breitet sich in mir aus. Nein, es war ganz bestimmt kein Traum.
    Ein Blick bestätigt mir, dass ich auch die Gitterstäbe nicht nur in meiner Phantasie, sondern tatsächlich zur Seite gebogen habe. Cooles Zeug, dieses Magenta, denke ich.
    Ob meine Liebste schläft? Ich würde es nicht wagen, sie aufzuwecken. Schon aus Angst, sie könnte diesen Moment mit einer Bemerkung zerstören, die mir das Herz zersäbelt. Ich will diesen Abend so makellos, wie er gerade ist, mit in den Winter nehmen, um an einsamen Tagen darin zu blättern wie in einem Fotoalbum.
    »Ray.« Es ist nur ein Flüstern. Fast nur ein Hauch.
    Ich erschrecke. »Ja?«
    Keine Antwort.
    Vorsichtig bewege ich mich zu Elsa und sehe, dass ihre Augen fest geschlossen sind. Sie schläft. Und sie hat gerade im Schlaf meinen Namen geflüstert. Fühlt sich an, als würde mir gleich das Herz aus dem Fell
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