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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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Luft, leuchten aber noch einmal in einem angeberischen Gelb- und Rot-Finale, sobald sie von den Strahlen der Altweibersonne gestreichelt werden. Und doch traue ich dem Frieden nicht. Ich kann es nicht genau sagen, aber da ist etwas – eine nervöse Anspannung. Wie eine Neuigkeit, die sich im Zoo verbreitet und die du spürst, bevor du weißt, was es eigentlich genau ist.
    Am Gehege der Breitmaulnashörner Ursula und Justus wird meine Ahnung zur Gewissheit. Normalerweise läuft das so: Bei den Flamingos schlage ich den Weg nach Norden ein, grüße freundlich die Elefanten, ignoriere die Steinböcke auf ihrem lächerlichen Felsen, auf den sie sich so viel einbilden, und nehme mir bei den Nashörnern etwas Zeit, um Ursula so lange zu … sagen wir: necken, bis Justus wutschnaubend mit seinem vorderen Horn gegen das Stahlgeländer rennt.
    Um das zu erreichen, mache ich Ursula meist Komplimente über ihren Hintern – dass sie mich total heiß macht mit diesem schlanken, geradezu grazilen Dickhäuterpo und dass ich gar nicht verstehen könne, wie Justus das aushalte, den ganzen Tag mit ihr das Gehege zu teilen, ohne sie nicht wenigstens stündlich zu bespringen, obwohl in Justus’ Fall springen wohl nicht das richtige Wort sei und so weiter und so fort. Justus versucht dann immer, Ruhe zu bewahren. Das ist der eigentlich lustige Teil – wie er versucht, die Kontrolle zu behalten. Denn er weiß natürlich, dass ihn wirklich hässliche Schmerzen erwarten, sobald er mit dem Horn das Geländer knutscht. Schließlich ist das vordere Horn von Breitmaulnashörnern mit der Nasenwurzel verwachsen. Aua.
    Selbstredend gelingt es Justus nicht, die Kontrolle zu behalten. Unmöglich. Dreieinhalb Tonnen Kampfgewicht, aber eine Steuereinheit von der Größe einer kandierten Mandel. Rufus meint, es liege daran, dass Nashörner keine natürlichen Feinde haben. Es gibt sozusagen keine evolutionäre Notwendigkeit, dass sich da im Kopf etwas entwickelt. Wenn ihnen jemand blöd kommt, gibt’s was auf die Glocke, und das war es dann. So weit das Gehirn eines Breitmaulnashorns. Funktioniert leider nur in freier Wildbahn. Hier im Zoo trennt Justus und mich ein Vierkant-Stahlrohr so dick wie ein Laternenpfahl. Und das ist der Grund dafür, weshalb eine Nashornverarsche deutlich mehr Spaß bringt als eine Flamingoverarsche. Denn Justus erinnert sich zwar morgen noch an die Schmerzen von heute, am Ende aber dengelt er doch wieder gegen das Geländer. Er kann nicht nicht dagegen rennen.
    Und so zwänge ich mich wie jeden Morgen möglichst unauffällig durch die Hecke, die sie entlang des Stahlgeländers gepflanzt haben, lehne mich lässig gegen einen der Betonpfeiler, betrachtete den felsblockartigen Hintern von Ursula und rufe: »Morgen, Ursula!«
    Sie antwortet, ohne sich umzudrehen: »Geh weg, Ray.«
    »Ich würde ja gerne«, antworte ich, während ich mit einer Kralle die Ritzen zwischen meinen Zähnen sauberkratze, »aber dein Hintern macht mich einfach derartig heiß … Wo ist eigentlich Jus…«
    In diesem Moment beginnt die Erde zu beben, und Justus kommt um das Haus gestürmt, und – kein Witz – so schnell hab ich ihn noch nie laufen sehen. Wusste gar nicht, dass ein Nashorn überhaupt so rennen kann. Er muss sich richtig auf die Seite legen, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Ich tätschele kurz den Betonpfeiler und kreuze das Spielbein über das Standbein. Das wird weh tun, denke ich, doch da galoppiert Justus auch schon heran, hält direkt auf mich zu, grunzt wie ein Posaunenchor, und die Erde vibriert so stark, dass ich immer wieder für Sekundenbruchteile den Bodenkontakt verliere. Jetzt wird mir doch etwas mulmig. Ich sehe den Staub tanzen und habe gerade noch Gelegenheit, zwei Schritte rückwärts zu stolpern, während ich mit aufgerissenen Augen verfolge, wie Justus auf den letzten Metern noch einmal zulegt – Mann, der würde glatt einen Geparden abhängen. Dann kneife ich die Augen zusammen, höre, wie sein Horn in das Geländer kracht und er ein Brüllen ausstößt, das selbst die Kängurus im entlegensten Winkel des Zoos schockiert zusammenfahren lässt.
    Das Nächste, was ich wahrnehme, ist ein Luftstoß, der nach vergorenem Gras riecht und mich anbläst wie ein Föhn auf Stufe drei. Ich öffne meine Augen und blicke in die von Justus, blutunterlaufen, hitzig, zu allem entschlossen. Er hat es tatsächlich fertiggebracht, das Geländer zu verbiegen, den Stahl zu knicken wie ein Streichholz, und jetzt schnauft er
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