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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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endgültig festsaßen, dann löste ich das Tamponknäuel aus der Astgabel, nahm zwei lose Enden, zog das Boot mühsam bis unter unser Einstiegsloch und knotete es an dem Eisenring fest, der im Bordstein eingelassen ist. Später hievten wir es dann in den Bau hoch. Mussten eine Seilwinde bauen und das Loch verbreitern. Aber das Leuchten in Rufus’ Augen, als er seine Krallen über den pfeilförmigen Bug gleiten ließ, sagte mir, dass wir mit dem Ding noch eine Menge Spaß haben würden.
    »Carnaubawachs«, bemerkt Rufus, während er langsam den Knotenstrick herablässt.
    Ist so eine Masche von ihm – etwas in den Raum zu werfen, das keiner versteht und wo du dann nachfragen musst, damit Rufus nichts anderes übrigbleibt, als dir eine Lehrstunde zu erteilen. Gewöhnlich lasse ich ihn damit auflaufen, aber heute, finde ich, hat er es sich echt verdient, mich belehren zu dürfen.
    Artig frage ich: »Carnaubawachs?«
    »Ein Hochleistungswachs aus der Surf-City-Garage«, sagt er so beiläufig wie möglich. »Ist mit Polymeren versetzt. Garantiert maximale Haltbarkeit, ohne dass das Glanzbild darunter leidet.«
    Oh Mann. Mich befällt der Verdacht, dass Natalie und er möglicherweise doch noch keinen Sex hatten. Ich meine: So redet doch keiner, der Sex hat. Um Rufus aber nicht die Jungfernfahrt zu versauen, sage ich nur: »Cooool.«
    Er sieht mich an, als könne das unmöglich alles gewesen sein. Er will noch etwas gefragt werden, unbedingt. Shit, Brüderchen, wenn ich nur wüsste … Gerade noch rechtzeitig fällt es mir ein: »Und was ist mit dem Riss im Bug?«
    Rufus macht eine bedeutende Pause, während seine Mundwinkel ein Lächeln zu unterdrücken versuchen. »Da war es mit ein bisschen Wachs natürlich nicht getan«, erklärt er.
    »Natürlich nicht«, bestätige ich.
    Wir hangeln uns den Strick hinab. Ich zuerst, gefolgt von meinem Bruder.
    »Zwei-Komponenten-Epoxidharz-Spachtel«, höre ich Rufus über mir. »Wenn du das an die Krallen kriegst, hast du eine ganze Nacht lang zu tun, es wieder abzuknabbern.«
    »Krass«, sage ich.
    Dann stehen wir auf dem Randstein, vor uns das Boot. Ein erhebender Anblick. Der Bug glänzt so sehr, dass ich mich im Carnaubawachs spiegeln kann wie im Vierwaldstätter See bei Vollmond. Wenn ich nah rangehe, wird mein Kopf so klein wie der einer Wüstenspringmaus. Trete ich zurück, verzerrt die Wölbung mein Gesicht, und ich sehe aus, als hätte mich ein Dreißigtonner überfahren. Quer über den Rumpf zieht sich ein schwarzer Schriftzug. Offenbar hat Rufus etwas mit Edding draufgekritzelt. Jede Wette, dass er erwartet, nach der Bedeutung gefragt zu werden. Mach ich aber nicht. Noch eine Belehrung würde mir jetzt echt die Vorfreude verderben.
    Als hätte er die Szene wochenlang für einen Bond-Film einstudiert, flankt Rufus über die Reling auf die Heckplattform. Anschließend klemmt er im Fahrstand ein rotes und ein blaues Kabel ab, die vom Gewölbe herabhängen, wirft sie mir zu und sagt: »Roll mal zusammen und leg sie da drüben hin. Aber pass auf, dass sich die Enden nicht berühren, sonst geht im Zoo das Licht aus.«
    »Und wenn ich sie berühre?«
    »Dann geht bei dir das Licht aus.«
    Während ich die Kabel zusammenrolle, als hielte ich schlafende Puffottern in den Klauen, wird mir klar, weshalb mir diese Situation – abgesehen von dem Motorboot, den Kabeln und allem – so merkwürdig vorkommt: Ich habe Rufus noch nie, nie, nie unseren Bau verlassen sehen. Der Typ pinkelt sich sonst bereits auf die Füße, wenn er eine Klaue durch den Zaun stecken soll. Und jetzt legt er seine Krallen um das Lenkrad eines Motorbootes, checkt die getönte Windschutzscheibe auf zermatschte Fliegen und macht einen auf dicke Hose.
    »Rufus?«, frage ich zaghaft.
    »Hier.«
    »Du hast noch nie unser Gehege verlassen.«
    Sein Kopf verschwindet für einen Moment: »Keine Sorge«, tönt es aus dem Rumpf, »das Boot ist safe.«
    Das Boot ist safe  – ich halt’s nicht aus. Alles, was dem Typ noch fehlt, ist ein Cowboyhut und ein Patronengurt. Im nächsten Moment ist ein bedrohliches Brummen zu vernehmen, das Wasser gerät in Wallung, und der Hintern unseres Bootes schlingert hin und her wie zur Balz. Rufus’ Kopf taucht wieder auf, und diesmal kennt sein Siegerlächeln kein Halten mehr.
    Ich kralle mich an der Reling fest und klettere auf die Heckplattform. »Letzte Frage«, sage ich. »Müssten wir nicht unseren Clanchef auf die Jungfernfahrt mitnehmen?«
    »Rocky?«, fragt Rufus. Als
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