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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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ließ, war da immer noch die Nidetzky. Und die brauchte wirklich kein Zahnvergleichsröntgen, um den schiefen Zweier links unten, den sie sich mit dem Geld von der Mantlerin schon längst hätte richten lassen – aber man kannte das ja, die Reichsten waren immer die Sierigsten –, mit einem Blick zu identifizieren.
    Wobei, vielleicht war es der heiligen Johanna ja gar nicht nur ums Geld gegangen, vielleicht hatte sie einfach nicht mehr groß einen Grund für ein schnurgerades, perlendes Lächeln gesehen, nachdem sie für den einzigen Mann, der eine herausragend brave Katholikin wie sie, die Chefin der kampfbetenden Legio Mariae, wirklich ernsthaft geil machen konnte, jetzt eh schon zu alt war. Noch dazu war ja der Pfarrer in der Zwischenzeit ein anderer als vor dreißig Jahren. Und, was die Sache noch uninteressanter machte: aus Nigeria. Wobei, manche mochten das ja angeblich auch wieder.
    «Du hast also wirklich nichts erkennen können?», fragte Grasel dann zum hundertsten Mal. Er senkte die Stimme und gab den Kommissar: «Jetzt denken Sie doch nach, Herr Suchanek! Jede auf den ersten Blick noch so unbedeutende Kleinigkeit kann wichtig für uns sein!»
    «Das hätte auch ein Alien sein können. In der Nacht und so weit weg. Und außerdem hab ich ihn vielleicht fünf Sekunden lang gesehen.»
    «Und man muss natürlich auch einkalkulieren, dass du bekifft warst wie vor dir nur David Crosby im ganzen 68 er-Jahr.»
    «Und wenn du mich nicht in meinem Zustand da rübergehetzt hättest, wär’s ja auch egal gewesen. Aber so habe ich, fürchte ich, einen ziemlich bedenklichen Auftritt hingelegt.»
    «Ja, hab ich schon gehört. Der Dreier-Kanschitz hat in der Früh bei mir getankt. Was war das für eine Geschichte mit deinem Schuh?»
    «Ich bin in den Graben gefallen und hab ihn verloren.»
    «Man kann sagen, was man will: Du verstehst zu leben.»
    «Wahnsinnig komisch. Krieg ich jetzt wenigstens noch was zu rauchen, nach diesem ganzen Scheiß?»
    «Jaja. Komm einfach vorbei und hol’s dir. Ich bin sowieso immer da.»
    Suchanek ging wieder im Kasten auf Tauchstation und kehrte mit einer kleinen Kiste zurück. Die musste er so ungefähr in der zweiten Klasse Gymnasium gebastelt haben. Das Ding war aus Holz, nicht ganz astrein dunkelgraubraun furniert und einmal als Schmuckkassette gedacht gewesen. Aber seine Mutter hatte nie irgendwelchen Schmuck besessen, den man nicht nach einmal Tragen ohne große Seelenqualen wegwerfen konnte. Oder auch davor. Er hatte aber damals Monate an dem Ding herumgebastelt. In «Werken», also jenem unverzichtbaren Teil des Lehrplans, der wie kein anderer geeignet ist, ansonsten in jeder Beziehung gescheiterten Existenzen ein Leben auf der Straße zu ersparen. Stattdessen dürfen sie unterrichten.
    Außerdem erinnerte sich Suchanek genau, wie er das unförmige Ding zweimal pro Woche, zusätzlich zu einer ohnehin schon riesenhaften Schultasche, um drei viertel sieben Uhr früh in den eiskalten Bus geschleppt hatte, der eh nur eine Stunde bis nach Gantersburg brauchte, dort dann zwei Kilometer von der Schule entfernt stehen blieb … Na ja. Man hatte halt nichts gehabt nach dem Krieg. Die Kinder heutzutage können sich das ja gar nicht mehr vorstellen.
    Aber die Sache mit der Schmuckkassette hatte ja schließlich doch einem tieferen Sinn gedient. Auch wenn sich der erst Jahrzehnte später erweisen sollte: In dem Ding war das Fernglas!
    «Was meinst du?», sagte Suchanek, während er umständlicher aufstand, als das selbst für einen nach dem Vorbild eines nassen Sacks Gebauten wie ihn nötig war. «Wer könnte das gewesen sein?»
    «Nun ja. Was spricht gegen den Palenak?»
    «Nur weil die Waschweiber im Dorf ihm das damals umgehängt haben, war er’s noch lange nicht. Und selbst wenn: Warum sollte er genau dieselbe Nummer zwanzig Jahre später noch einmal veranstalten?»
    «Vielleicht wollte er das Jubiläum standesgemäß feiern?»
    «Und wenn er schon so frech wäre, die Versicherung noch einmal auf dieselbe Art zu betrügen – dann killt er im Vorbeigehen auch noch schnell die Johanna?»
    «Vielleicht war es ein Unfall. Vielleicht ist sie reingerannt zum Löschen.»
    «In einen blöden Schuppen, in dem praktisch nur Stroh ist? Geh. Außerdem hätte ich das eigentlich sehen müssen.»
    «Vielleicht hat sie ihn überrascht, er kriegt die Panik, bumm und aus.»
    «Das könnte ich mir schon eher vorstellen», sagte Suchanek und schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht seine eingeschlafenen
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