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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten
Autoren: Ange Guéro
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auch keine Göttin sein.« Er deutete auf den Tempel. »Und da seht Ihr’s.«
    Arekh musterte ihn. »Glaubt Ihr daran?«, fragte er. »An sie ? An die Göttin?«
    Day-Yan zögerte. »Sie ist notwendig«, sagte er schließlich.
    »Das ist keine Antwort.«
    »Ich weiß.«
    Kurzes Schweigen folgte. Hinter ihnen ertönten das Gemurmel der Menge und die heilige Musik. Sie war ohrenbetäubend und wirkte bedrohlich wie eine Bürde, eine Waffe.
    »All das«, sagte Day-Yan und machte eine Gebärde zum Lager und zu den Gläubigen, die dahinter warteten, »all das hier hängt am seidenen Faden.«
    »Ich weiß.«
    »Ich will es Euch sagen hören«, verlangte Day-Yan. »Dass Ihr, falls wir ihre Leiche finden, das Volk führen werdet. Ihr und Lionor.«
    »Ich werde tun, was ich zu tun habe«, sagte Arekh, plötzlich gereizt. »Ich weiß, was sie gewollt hätte.«
    Er wandte Day-Yan den Rücken zu und ging allein über den Strand davon.
     
    Die Abenddämmerung senkte sich herab, ohne dass er Marikani gefunden hätte.
    Arekh stieg langsam den Hügel hinauf. Als die Sterne am Nachthimmel erschienen, begriff er, dass er nicht mehr konnte. Er konnte nicht mehr weitergehen. Er konnte
nicht mehr laufen, nicht mehr sprechen, sich nicht mehr bewegen.
    Er ließ sich auf einen Bretterstapel hinter dem Tempel fallen. Er konnte nicht mehr suchen. Er konnte nicht mehr denken.
    Es war seine Schuld. Er hatte sie endlich wiedergesehen, sie hatten einander endlich wiedergesehen, und das, was er gesagt hatte, hatte sie dazu getrieben … zu verschwinden? Zu sterben? Trotz aller Zuneigung, die er Non’iama entgegenbrachte, trotz allen Abscheus, den er wegen Marikanis Tat empfand, hätte er in diesem Augenblick alles getan, damit sie zurückkam - sich entschuldigt, sie angefleht, ihm zu verzeihen, sie …
    Er hob den Blick.
    Marikani stand vor ihm, in den gleichen Kleidern wie am Vorabend, barfuß im Sand.
    Lebendig. Unversehrt.
    »Arekh«, sagte sie leise. »Es tut mir sehr leid.«
    »Bei den Göttern …«
    Einen Moment lang glaubte er an eine Erscheinung, aber es war keine. Sie war wirklich. Er sprang auf, schloss sie in die Arme und drückte sie mit aller Kraft an sich. Sie erwiderte seine Umarmung, und als sie voneinander zurücktraten, bemerkte er, dass sie weinte. Sacht wischte er ihr die Tränen von den Wangen und küsste sie.
    »Arekh«, sagte sie. »Ich habe nachgedacht.«
    »Wir reden später darüber«, erwiderte er und wies auf den Tempel hinter ihnen. »Deine Bewunderer erwarten dich …«
    »Genau das ist es«, sagte sie, und Arekh bemerkte auf ihrem Gesicht unter den Tränen einen Ausdruck, den er nur zu gut kannte.

    Den fester Entschlossenheit. Arekh legte ihr die Hände auf die Schultern. »Was?«
    »Ich habe nachgedacht«, wiederholte sie. »Verstehst du, das, was ich Non’iama angetan habe, würde ich wieder tun …«
    »Marikani«, drängte er. »Wir reden später darüber.«
    Ein Murmeln stieg hinter dem Tempel auf, das Gemurmel der Menge, die wartete und sang …
    Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein«, beharrte sie. »Es ist wichtig. Was ich Non’iama angetan habe, würde ich wieder tun. Aber was nicht normal ist, was nicht in Ordnung ist, das ist … Sie hätte mir niemals verzeihen dürfen. Sie sollte es mir übel nehmen, Arekh. Sie sollte es mir ewig übel nehmen.«
    »Sie liebt dich.«
    »Nein. Und Bara hat mich auch nicht geliebt. Sie vergöttern Ayesha. Non’iama hat es mir mehrfach gesagt. Sie würden wer weiß was tun. Sie würden für mich sterben. Ich bin dabei, ein Volk von Sklaven zu erschaffen, Arekh.«
    Er zögerte. »So einfach ist das nicht …«
    »Doch. Es ist sogar sehr einfach. Ich habe ein Volk aus seinen Ketten gelöst, nur um ihm neue anzulegen. Das kann ich nicht geschehen lassen.«
    »Nein, so einfach ist das nicht«, wiederholte er. »Denk an all das, was sie durchgemacht haben. Denk an das, was sie auf der Reise noch durchmachen werden. Denk an das, was sie überlebt haben - weil sie den Glauben hatten. Und dieser Glaube ist es, der es ihnen gestattet hat, all die Monate halbverhungert hinter dir herzuwandern …«
    Marikani schüttelte den Kopf. »Nun, jedenfalls sind sie jetzt hier. Und wenn ich dieses Spiel weitertreibe … dann
wird es bald zu spät sein. Alles, was ich sage, wird nichts mehr nützen. Ich muss diese Komödie beenden. Heute.«
    Arekh schnappte nach Luft. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Ayesha ist alles, was sie zusammenhält - was sie
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