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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei
Autoren: Julianne Lee
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dass er an Muskeln zugelegt haben musste, weil er sich so intensiv auf die Spiele vorbereitet hatte. Zu den Schaukämpfen wurden zahlreiche Zuschauer erwartet, und da er hoffte, dort neue Kunden zu gewinnen, wollte er sich in Hochform präsentieren.
    Das Kerngehäuse des Apfels landete im Abfalleimer unter dem Gestell mit den Übungsschwertern; daneben hingen einige hölzerne Bauernspieße, und an der anderen Wand war ein Schaukasten angebracht, in dem er seine Sammlung historischer Breitschwerter aufbewahrte. Bei den meisten handelte es sich um Nachbildungen, denn gut erhaltene Originale waren für ihn zumeist unerschwinglich, aber auch die Kopien kosteten oft ein kleines Vermögen und waren schöne Beispiele alter Handwerkskunst.
    Er nahm einen Spieß aus dem Gestell. Der dunkle war der handlichste; das Holz war vor Alter und häufigem Gebrauch samtig glatt geworden. Dylan trat in die Mitte des Raumes, legte den Spieß auf den Boden und begann mit seinen Aufwärmübungen. Mit gespreizten Beinen beugte er sich aus der Taille heraus nach vorne, nach hinten und nach beiden Seiten, wobei er jedes Mal leicht den Boden berührte, ehe er noch einmal von vorne begann. Dabei konzentrierte er sich darauf, ruhig und gleichmäßig durchzuatmen und ruckartige Bewegungen zu vermeiden, während er die Übungen wiederholte, bis er spürte, dass sich seine Muskeln lockerten. Nun vollführte er dieselben Übungen mit geschlossenen Beinen.
    Mittlerweile spürte er fast jeden einzelnen Muskel, und seine Haut begann zu prickeln. Nach einer Viertelstunde angestrengten Stretchings war er hellwach und brannte darauf, mit dem Training zu beginnen. Er beugte sich nach vorne, bis seine Hände flach auf dem Boden lagen, und richtete sich dann ganz langsam wieder auf; fast meinte er, jeden Wirbel einrasten zu hören. Dann holte er tief Luft und atmete langsam wieder aus.
    Ginny hatte sich hinter ihn geschlichen und grub ihm unvermittelt die Finger in die Rippen, aber er war zu entspannt, um vor Schreck zusammenzuzucken, wie sie gehofft hatte. Doch ihr zuliebe tat er so, als ob er überrascht nach Luft schnappte.
    Ginny kicherte, setzte sich breitbeinig auf eine kleine Bank und drehte ihre Sonnenbrille zwischen den Fingern.
    »Du bist ja noch gar nicht angezogen«, bemerkte er vorwurfsvoll und meinte damit, dass sie ihr Kostüm nicht trug.
    Sie verstand ihn absichtlich falsch. »Du doch auch nicht.« Ihr Blick blieb an dem Handtuch hängen, unter dem sich eine unübersehbare Beule abzeichnete. Dieser Zustand verflog jedoch so rasch, wie er gekommen war, und Dylan, der an sich hinuntersah, fing an, sich zu ärgern - über sie und über sich selbst.
    Er runzelte die Stirn. Irgendetwas lag in der Luft, er konnte es förmlich riechen.
    Doch ihre Gedanken waren bereits weitergewandert. »Wie kannst du denn diesen Karatekram ...«
    »Kung-Fu.«
    Sie seufzte. »Na schön, Kung-Fu. Wie kannst du Kung-Fu betreiben, wenn du nicht angezogen bist?« Sie fing an, die Bügel der Sonnenbrille auf- und zuzuklappen. Klack. Klack. Klack.
    »Wieso brauche ich dazu Klamotten?« Dylan hob den Spieß auf, um mit dem eigentlichen Trainingsprogramm zu beginnen.
    »Kommst du dir denn nicht komisch vor?«
    Er hob nur die Brauen. »Nein. Wenn ich mir komisch vorkäme, hieße das, dass ich etwas falsch mache.« Manchmal brachte Ginny ihn zur Weißglut. Sie war hübsch, charmant, geistreich und eine Wucht im Bett, aber sie interessierte sich nicht im Geringsten für alte Kampftechniken und die Feinheiten des Schwertfechtens, obgleich er sich damit seinen Lebensunterhalt verdiente. Er hielt Kurse ab und galt als guter Lehrer.
    Dylan konzentrierte sich wieder auf sein Programm. Vorstoß, Abblocken, Vorstoß, gerader Stoß, halbe Drehung ... Dann erklärte er: »Vergiss nicht, dass ich bei den Spielen den Clan Matheson vertrete. Ich muss also einen Kilt tragen, und den trage ich nach alter Tradition, nämlich ohne was drunter.«
    »Du willst deine Karateübungen ...«
    »Kung-Fu.«
    »Von mir aus. Du willst das in einem Kilt vorführen?«
    Vorstoß, Abblocken, einen Schritt zurück, Abblocken, Drehung ...»Nein.« Sein Atem ging keuchend, und es fiel ihm schwer, während des Trainings zu sprechen. »Schwerter. Es geht um einen bis ins kleinste Detail durchchoreografierten Schaukampf mit Schwertern, und zwar mit richtigen Schwertern, nicht mit Attrappen. Ganz schön gefährlich. Wehe, wenn du mal einen Moment nicht aufpasst.« Ron-nie, Dylans Assistent, wollte bei der
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